piwik no script img

"Es gibt keinen Grund für eine Große Koalition"

■ Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Reinhard Barsuhn über die Sozialdemokraten in der Ampel nach einem Jahr Koalition

Es gibt keinen Grund für eine Große Koalition

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Reinhard Barsuhn über die Sozialdemokraten in der Ampel nach einem Jahr Koalition

Reinhard Barsuhn (49) ist einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD. Vor der Ampel trat er für eine Große Koalition zwischen SPD und CDU ein.

taz: Herr Barsuhn, das erste Jahr Ampel, war das ein gutes oder ein schlechtes Jahr?

Reinhard Barsuhn: Die SPD oder die SPD-Fraktion hat sich erst an eine Koalition gewöhnen müssen, mit allen negativen und positiven Seiten. Ich bin noch nicht sicher, ob wir das inzwischen voll verinnerlicht haben. Das Ergebnis dieses Jahres kann sich aber sehen lassen. Wir haben einen Haushalt verabschiedet, einen Doppelhaushalt, der in seiner finanziellen Klammer wirklich sehr eng ist. Das war kaum vorstellbar. Wir haben das Sanierungsprogramm verabschiedet. Unterm Strich ist festzustellen: Dieses erste Jahr Koalition hat handfeste Politikergebnisse gebracht.

Läßt sich die SPD in der Koalition von den kleinen Parteien die Butter vom Brot nehmen?

Ich teile diese Meinung nicht ganz. Wir haben sicherlich einen Nachholbedarf an Profil, aber ich bin in den letzten Monaten zu der Überzeugung gekommen, daß unsere Funktion in der Koalition aus Sicht der Bevölkerung so angesehen wird, daß wir das Scharnier des Funktionierens sind.

Bei welchen Themen gibt es diesen Nachholbedarf?

Wir müssen in den nächsten Jahren nicht nur unser Sanierungsprogramm umsetzen, sondern auch unsere Haushaltsgrenzen. Wir werden schwer einschneiden müssen in die Strukturen des öffentlichen Dienstes. Das werden wir leisten müssen, und da sind sicherlich Sozialdemokraten gefragt. Die zweite dringende Sache: Wir müssen die Explosion im Sozialbereich besser kanalisieren, in den Griff krie

hier bitte

den freundlichen Herrn

Reinhard Barsuhn, Foto: J.O.

gen. Dritter Komplex: In dieser Legislaturperiode stehen Entscheidungen im Verkehrsbereich an. Im Bremer Süden: Das, was sich da zur Zeit um das Güterverkehrszentrum abspielt, ist unmöglich. Es wird eine Entscheidung sein — egal wie sie ausfällt — die immer irgendwelchen Leuten weh tun wird. Und wir werden eine Entscheidung treffen müssen im Bremer Osten. Meine Position ist klar, die Fraktion hat bisher noch nicht darüber abgestimmt, die Koalition ist sich noch nicht einig, es laufen ja auch noch Untersuchungen.

Wie ist ihre Position?

Für den Bremer Süden ist sie klar, A 281, für den Osten, den Hemelinger Tunnel, bin ich noch nicht sicher. Ich glaube nicht an einen Tunnel.

Woran glauben Sie?

Ich vermute, daß wir aus vielerlei Gründen zu einer nicht so guten, aber billigeren Lösung kommen werden. Also etwa zu dem, was derzeit als Lieber-Trasse gehandelt wird. Natürlich hat das Nachteile, weil die Lieber- Trasse den Verkehr ja weiter in die Stadt hereinführt.

Die kleine Koalitionspartner melden gelegentlich Koalitionsfragen an. Wo ist eigentlich bei der SPD die Schmerzgrenze in der Koalition?

Die Koalitionsfrage für die SPD wird sich dann stellen, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht. Wir haben in der Vergangenheit ganz viel für den Erhalt von Arbeitsplätzen getan, und man muß das jetzt sagen, wo die Konjunktur niedergeht. Unter dem aktuellen Thema Klöckner, unter dem aktuellen Thema: weniger Beschäftigung bei der BLG, dem Problem bei Mercedes, werden wir in den nächsten Monaten unsere Programme umschreiben müssen, um zu sagen: Wir tun das mögliche, um hier Arbeitsplätze zu erhalten.

Das Thema Arbeitsplätze wird ihnen durch die Konjunktur aufgedrückt. Haben Sie auch ein Thema, daß sie ein tief dunkelrot sozialdemokratisches Thema, das Sie in dieser Stadt gestalten wollen?

Tief dunkelrot sozialdemokratisch ist das Thema Öffentlicher Personen-Nahverkehr. Man hat ja versucht, uns das Thema zu klauen, aber ich sage: Ich arbeite seit Mitte der 80er Jahre daran. Seit der Einführung der Bremer Karte geht es im ÖPNV wieder nach vorne. Das ist sozialdemokratisch. Die ganze Schiffahrts- und Häfenpolitik in Bremen ist sozialdemokratisch. Vielleicht verkaufen wir das auch nicht richtig, da sind wir ohnehin sehr zurückhaltend. Das wäre auch eine Koalitionsfrage, weil Bremen mit den Häfen und von den Häfen lebt, Bremen ist davon abhängig, auch seine Selbständigkeit.

Wie ist es bei der Bildungspolitik? Eine Entscheidung des Senates liegt an.

Ich denke, daß in der Bildungspolitik der Senat entsprechend der Koalitionsvereinbarung entscheiden wird.

Wie ist es bei der Hemelinger Marsch?

Da bin ich nicht so drin. Sie kennen den Streit in der Partei und in der Fraktion. die Frage wird sein, ob wir sie wirklich brauchen. Kurzfristig brauchen wir sie nicht, wenn wir sie brauchen, dann mittel- oder langfristig. Wenn wir die Marsch brauchen, dann bin ich dafür, daß sie genutzt wrid, wirtschaftlich.

Wie wollen Sie in Zukunft verhindern, daß SPD-Entscheidungen künftig nicht auf dem Guthaben-Konto der Koalitionäre landen? Beim Drogenstrich hat die SPD entschieden, die FDP bekommt jetzt von den Anwohnern die Lorbeeren.

Ich glaube nicht, daß uns das schadet. Natürlich, die Richtung stimmt schon, die FDP hat etwas geerntet, was die SPD entschieden hat. Das hat Probleme gemacht, weil wir es schlecht verkauft haben. Die Fraktion ist ja nicht — ich will es mal locker ausdrücken — nicht so ganz einheitlich aufgetreten. Inzwischen habe ich den Eindruck, daß der SPD-Beschluß zur Drogenpolitik bei denen angekommen ist, die es betrifft, und positiv aufgenommen wird.

Seit es die Koalition gibt, gibt es auch immer wieder Gerede über eine große Koalition. Hätte die SPD mit der CDU bessere Profilierungschancen?

Das weiß ich nicht. Ich habe damals die Meinung vertreten, daß wir eine starke Regierung brauchen, und aus diesem Grunde war ich für eine Große Koalition. Ich habe es nicht glücklich gefunden, daß man sich von vornherein auf eine andere Koalition festgelegt hat, weil man damit das Portemonaie aufmacht, Verhandlungsspielraum verliert. Zur Zeit über eine Große Koalition zu spekulieren, halte ich für nicht richtig. Ich habe eingangs gesagt: Die Koalition hat im Ergebnis viel besser gearbeitet, als ich das gedacht habe. Das sage ich ganz deutlich.

Ist das Ihre persönliche Einschätzung oder ist das die Meinung der Fraktion?

Das ist meine persönliche Einschätzung. Ich denke, gut mehrheitlich ist das aber auch Fraktionsmeinung. Ich kann nicht ausschließen, das da auch anders gedacht wird. Es gibt sicherlich hier und da Hinweise darauf.

Welche Stolperschwellen sehen Sie für die Koalition?

Die Stolperschwellen liegen in der finanziellen Enge. Ich hoffe, daß wir im Rahmen des Finanzkorsetts 1993 bleiben können. Das nächste Problem wird sein der Haushalt 1994/95. Wir werden dann einen solchen Haushalt zusammenschreiben müssen, daß er allen wahnsinnig weh tun wird. Und da weiß ich gar nicht, ob man da Stolperschwellen voraussagen kann. Er wird uns selbst wehtun, vielleicht stolpern wir dann über unsere eigenen Füße, aber er wird auch den Koalitionären wehtun. Int: mad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen