"Das Publikum ist nie schuld"

■ Betty Carter über Raubmitschnitte bei Berliner Jazzkonzerten, die Berliner Clubkultur, Besucherschwund und anderes

Anläßlich ihres Auftritts beim „Jazz in July“-Festival, das noch bis morgen im Quasimodo stattfindet, sprach die New Yorker Jazz- Diva Betty Carter mit der taz exklusiv über lausige Jazzdeals in Berlin.

taz: Während Ihres Auftritts beim Jazzfestival in Den Haag vor zwei Wochen riefen Sie zum Boykott einer CD auf, die gerade unter dem Titel „Love Note“ beim Wuppertaler ITM-Media-Label „JazzDoor“ erschienen ist. Das ist durchaus ungewöhnlich – schließlich handelt es sich dabei um Ihre neueste CD. Sie behaupten jedoch, daß dies ein nicht lizensierter Mitschnitt einer Konzerttour sei, während der sie im November vergangenen Jahres im Berliner Schauspielhaus auftraten.

Betty Carter: Das ist ein ganz faules Ding. Man hatte eine Konzerttour mit Geri Allen, Dave Holland, Jack DeJohnette und mir vereinbart – mehr nicht. Aber ITM- Media hat einfach mitgeschnitten. Davon erfuhren wir erst, als diese CD auf den Markt kam. Wir haben dafür jedenfalls keinen Pfennig bekommen, allerdings viel Ärger mit den Plattenfirmen, bei denen wir unter Vertrag sind. Das Verve-Label plant, meine CD mit diesem Quartett im Oktober unter dem Titel „Feed The Fire“ zu veröffentlichen. Nach und nach erfuhren wir jetzt, daß dasselbe Label ebenfalls Raubaufnahmen von Miles Davis, Pat Metheny und John Scofiled veröffentlicht hat und offenbar schon länger als Bootlegger berüchtigt ist. Wir werden da nicht mehr locker lassen: Leute, die auf unsere Kosten solch lausige Deals machen, gehören boykottiert.

Bei der Pressevorstellung der Konzertreihe „Jazz in Berlin“ hatte der ITM-Geschäftsführer Ulli Blobel schon angedeutet, daß die Jazzkonzerte im Schauspielhaus für ITM wohl eben gerade die Funktion hätten, Plattenproduktionen mit den jeweiligen Tourbands vorzubereiten.

Und es wäre auch eure Aufgabe gewesen, darüber zu informieren und uns davor zu warnen! Wie gesagt: wir sind von diesen Typen abgelinkt worden, und die Gerichte werden das zu klären haben. Für uns Künstler bleibt von dieser Erfahrung der fade Nachgeschmack, daß man hier zukünftig mit solchen Geschäftsmethoden rechnen muß. In den USA gab es solche Typen auch – aber die sind von der Community gestoppt worden. Das Gefühl, daß Ihr dazu nicht stark oder willens genug seid – das schmerzt uns. Und ich weiß nicht, wie die amerikanische Jazzcommunity darauf reagieren wird – vielleicht wird Berlin zukünftig stärker gemieden werden. Diese Raub-CDs sind in Berliner Plattenläden erhältlich – und eben die wären auch gefragt, zu handeln. Sicher ist es normal, mit unserer Musik Geld verdienen zu wollen – aber das sollte fair ablaufen.

Seit fast einem halben Jahrhundert clubben Sie nun schon durch die Jazzwelt, Sie hatten über lange Zeit ein eigenes Independent- Jazz-Label, Sie führen seit Jahren bereits die Kritikerwahl in Sachen Jazzgesang an, und Ihre Bands gelten als die „Schule ohne Wände“ für ambitionierte junge Jazzmusiker schlechthin. Ihr Konzert bei „Jazz in July“ war zwar ausverkauft, die Besucherzahlen bei Berliner Jazzveranstaltungen gehen jedoch seit geraumer Zeit extrem zurück. Ist das Publikum jazzmüde geworden, oder schnarcht der Jazz selbst so vor sich hin?

Es ist zunächst zu bedenken, daß Rezession und Jazz immer ein sehr ungleiches Paar abgeben werden. Wenn das Geld der Leute knapper wird, spüren wir das als erste. Aber sicher kann es auch daran liegen, daß es im Jazz zuwenig Neues gibt. Oder zuviel fragwürdig Neues. Zu viele Kollegen halten sich offensichtlich für so toll, daß ihnen alles egal ist, Hauptsache, die Kasse stimmt. Andere sind mit ihrer Musik alt geworden. Die Leute zahlen aber nicht für ein Konzert, um sich dann zu langweilen. Das Publikum ist cleverer, als viele denken.

Ich sehe die Musiker, die Clubbesitzer und das Publikum als Einheit. Die Jazzcommunity schätzt gerade deshalb Clubs wie das Quasimodo, weil man sich hier auch in harten Zeiten noch um diese Einheit bemüht. Was bringt es denn, wenn – wie gerade geschehen – Herbie Hancock mit seiner HipHop-Band in Berlin aufkreuzt, und kaum einer geht hin? Ohne Zweifel ist er einer der besten Jazzpianisten, die wir haben. Sein Pop-Zeug überzeugt hingegen nicht. Aber Herbie hält sich offenbar für so Superstar. Tragisch daran ist nur, daß andere die Folgen tragen. Ein total verschuldeter Veranstalter, der andere Kollegen nicht mehr buchen kann. Und ein enttäuschtes Publikum, das womöglich dann auch bei unseren Konzerten ausbleibt.

Jeder muß sich ein Publikum erst mal selbst schaffen. Dazu braucht es Geduld, Ausdauer, künstlerische Entwicklung und kontinuierliche Bühnenpräsenz. Es ist allein Sache der Künstler, falls keiner mehr kommt. Vorausgesetzt, die Veranstalter kümmern sich um die Konzertankündigung, und die Presse informiert. Es ist jedenfalls nie Schuld des Publikums. Interview: Christian Broecking