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"Das Programm könnte auch in einem luftleeren Raum stattfinden"

■ Stephan Burgdorff und Stefan Aust über 24 ungewöhnlich unabhängige Sendeminuten bei RTL plus: Spiegel-TV, sonntags, 21.45 Uhr

„Das Programm könnte auch in einem luftleeren Raum

stattfinden“

Stephan Burgdorff und Stefan Aust über 24 ungewöhnlich

unabhängige Sendeminuten bei RTL plus:

Spiegel-TV, sonntags, 21.45 Uhr

taz:Am 8. Mai haben Sie zum ersten Mal beim Privatsender RTL plus das Nachrichtenmagazin Spiegel TV gebracht. Das war doch eine Premiere ohne Publikum?

A:Das war keine Premiere ohne Publikum. Wir hatten sechs bis sieben Prozent Sehbeteiligung, das ist eine knappe Million.

Warum wurde es in den Programmzeitschriften nicht aufwendig angekündigt?

A.:Weil die Erwartungen gegenüber Spiegel-TV so ungeheuer hoch sind und waren, daß wir Angst hatten, durch jede weitere Vorankündigung die Erwartungen noch höher zu schrauben. Wir kochen auch nur mit Wasser. Wir wollten uns sozusagen langsam in die Haushalte hineinschleichen.

Bisher stammen alle Ihre Autoren von der ARD.

A.:Das ist kein Wunder. Die öffentlich-rechtlichen Sender hatten bis jetzt ein Monopol. Praktisch jeder, der das Handwerk beherrscht, hat es bei den öffentlich-rechtlichen gelernt. Wo sonst? Wir wollen und können das Fernsehen nicht neu erfinden.

Am Anfang Ihrer Sendung lief bisher ein Trailer aus Filmschnipseln, unterlegt mit emotionalisierender Musik.

B.:Das sehen wir anders. Das waren Versuche, sozusagen Videoclips mit politischem Inhalt herzustellen. Einer dieser Trailer zeigte Bilder aus der Hafenstraße und vom Dohnanyi -Rücktritt, die mit der Originalmusik der neuen SPD -Parteihymne unterlegt waren. Was daran emotionalisierend sein soll, ist mir nicht ganz klar.

Der Beitrag war satirisch gemeint, und alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, haben ihn auch als Satire aufgefaßt.

Sie, Stefan Aust, haben uns gesagt, gerade wenn man wenige Politiker in ein Polit-Magazin bringt, kriegt man hohe Einschaltquoten.

A.:Da müssen Sie etwas falsch verstanden haben. Natürlich werden wir uns immer wieder mit Politikern beschäftigen. Wir wollen nur kein öffentlich-rechtliches Ankündigungsfernsehen machen. Politiker treten bei uns nur auf, wenn wir das für notwendig halten und nicht sozusagen automatisch. Ich glaube, das Portrait Stoltenbergs als „Absteiger des Jahres“, das wir in der ersten Sendung am Tag der Schleswig -Holstein-Wahl gezeigt haben, ist ein Beispiel dafür, wie Beiträge über Politiker aussehen könnten. Ob dieser oder andere Beiträge nun tatsächlich schon rundum gelungen sind, ist eine andere Frage.

Ihre Ansprüche verlieren sich doch etwas, wenn man sich das Programmumfeld anschaut. Ihr Nachrichtenmagazin ist eingebettet in eine dahergeholte Plauderei von RTL -Sprechern.

A.: Ich äußere mich zu unserem Programm, nicht zu dem Programm von RTL. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn uns die ARD einen Sendeplatz zur Verfügung stellen würde. Ich glaube, mich aber in der Annahme nicht zu täuschen, daß die ARD das nicht tun würde.

Wer trägt denn hier die Verantwortung? Was ist eigentlich Spiegel-TV? Sind Sie gegenüber den RTL plus-Eignern redaktionell und konzeptionell unabhängig?

A.: Wir allein sind verantwortlich für unser Programm, also auch unabhängig. Über die vertragliche Konstellation zwischen Spiegel und RTL sowie Alexander Kluges Firma DCTP kann und will ich nichts sagen.

Worin wollen Sie sich von den öffentlich-rechtlichen Magazinen unterscheiden?

A.: Panorama, Monitor und Report haben zunächst ein ganz vordergründiges Problem. Jedes dieser Magazine erscheint nur alle fünf Wochen. Das macht es schwierig, zu einer kontinuierlichen Berichterstattung zu kommen. Wir zeigen unser Magazin wöchentlich, das heißt, wir können eine ganz andere Kontinuität, auch eine ganz andere Aktualität gewährleisten. Außerdem haben wir den Spiegel mit seinen Informationen und seinen hervorragenden Redakteuren im Rücken. Dieses wird uns ganz sicher in die Lage versetzen, Informationen am Sonntagabend zu liefern, die andere Sendungen nicht haben. Außerdem wollen wir in unserem Programmbereich sehr viel flexibler sein als öffentlich -rechtliche Magazine es sind. Das beginnt schon bei der Form.Wir wollen zwischen Zwei-Minuten-Stücken und Schwerpunktsendungen alles machen. Vom Videoclip bis zur Reportage und, wenn es denn sein muß, bis zum verfilmten Aktenberg.

B.: Wir haben eine Sendezeit von 24 Minuten. Wir müssen noch ein bißchen experimentieren, um eine Form zu finden, die der Sendung ein eigenes Gesicht gibt.

Ist die Haltung des Verlags nicht ambivalent? Einerseits gibt es im Spiegel eine kritische Medienberichterstattung, andererseits machen Sie selber Fernsehen und noch nicht besser als die öffentlich-rechtlichen.

A.: Wieso ist das ein Widerspruch? Man kann sich doch durchaus mal einen Kolumnisten holen, der das Fernsehen abschaffen will. Eine solche Forderung kann ja durchaus ihren Sinn haben. Vielleicht lesen die Leute dann mal ein Buch oder gehen spazieren.

Ein Problem bleibt es aber doch, Geschichten des Spiegel optisch umzusetzen.

A.: Wir setzen nicht Spiegel-Geschichten optisch um, wir setzen Themen optisch um. Unsere Chance besteht darin, am Sonntagabend Filme zu zeigen, zu denen die Geschichte am Montag im Blatt steht. Denken Sie an die Barschel-Affäre. Die Geschichte, die Montag im Spiegel stand, hätte bei uns am Sonntagabend schon einen filmischen „Vorabdruck“ haben können. Nun hat aber auch der Spiegel nicht jede Woche eine Barschel-, Flick- oder Neue-Heimat-Affäre. Die Zusammenarbeit mit dem Spiegel macht das ganze Projekt ja überhaupt erst interessant. Sicher wären wir in der Lage, auch mit eigenen Mitteln ein Fernsehmagazin auf die Beine zu stellen, das halbwegs mit den öffentlich-rechtlichen konkurrieren kann. Wirklich interessant, etwas wirklich Besonderes kann unsere Sendung aber auch nur durch eine enge Kooperation mit dem Spiegel werden. Ich will die Schwierigkeiten dabei nicht unterschätzen. Insgesamt müssen wir durch das wöchentliche Erscheinen etwa soviel Sendezeit füllen, wie Monitor, Panorama und ein Report zusammen. Wir haben keinen Apparat, keine festen Kamerateams, kein Korrespondentennetz, und vor allem kein Filmarchiv. Bisher halten die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Archive verschlossen. Das führt dazu, daß zeitgeschichtliches Filmmaterial in der Bundesrepublik so gut wie nicht zu beschaffen ist. Immerhin gab es über 30 Jahre ein totales Monopol der öffentlich-rechtlichen. Außerhalb von ARD und ZDF finden Sie praktisch keinen Meter Filmmaterial über innenpolitische Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte.

Decken Sie nun Sonntagabend all die Genres ab, die der Privatsender RTL sonst nicht hat?

A.: Es kann uns primär nicht interessieren, was RTL macht. Von mir aus könnte unser Programm auch in einem luftleeren Raum stattfinden. Es ist mir relativ egal, was rundherum passiert. Wir können uns nur die eigenen Köpfe zerbrechen. Eines will ich aber dennoch sagen. Wir werden oft gefragt, wie könnt ihr auf diesem Kanal senden. Das finde ich in zweierlei Hinsicht unfair. Panorama oder Monitor senden auch in einem Kanal, über den manchmal der unglaublichste Schwachsinn abgesondert wird. Warum soll das für private Kanäle plötzlich nicht mehr gelten?

Die RTL-Moderation wirkte zumindest bei den ersten Sendungen sehr harmlos.

A.: Woher eigentlich sollen die Moderatoren bei RTL, denen plötzlich dieses Ding ins Programm geschneit ist, wissen, wie sie damit umgehen sollen? Das ist für die auch neu, das müssen die auch erst lernen.

Was passiert, wenn Ihre Einschaltquoten niedrig bleiben?

A.: Die werden nicht niedrig bleiben.

Aber mal unterstellt, sie bleiben niedrig.

A.: Dann haben wir irgend etwas falsch gemacht.

B: Was heißt außerdem niedrige Einschaltquoten? Der Spiegel hat auch eine niedrigere Auflage, als die Bild-Zeitung. Es kommt ja auch darauf an, wer sich eine Sendung anschaut. Es geht nicht nur um die Zahl.

Wie reagiert die Wirtschaft mit ihren Werbespots darauf?

A: Das kann und darf uns bei der journalistischen Arbeit nicht interessieren.

Ist ihnen das Werbeumfeld wirklich egal?

B: Seit wir hier sitzen und uns Gedanken über das Programm machen, ist in diesem Raum das Wort Werbeumfeld heute das erste Mal gefallen. Das war völlig jenseits unserer Vorstellungen.

Mal unterstellt, Sie machen demnächst einen Beitrag über ein gefährliches medizinisches Erzeugnis der Firma Hoechst, während von denen zur gleichen Zeit laufend Spots bei RTL zu sehen sind.

A: Das interessiert uns nicht. Wenn wir der Meinung sind, wir müssen ein Stück machen über ein bestimmtes Medikament, dann interessiert uns überhaupt nicht, wer wo wirbt.

B: Wenn die Situation einträte, daß wir uns in redaktionellen Entscheidungen nach Werbekunden richten müßten, dann würden wir die Arbeit sicher nicht mehr lange machen.

Und das ist auch vom Etat her durchhaltbar?

A: Genauso, wie der Spiegel sich von Inserenten nie hat unter Druck setzen lassen, so werden wir das auch nicht tun. Etatfragen will ich hier aber generell nicht diskutieren. Dazu nur soviel: Wir werfen nicht mit Geld um uns. Ein solches Projekt ist auf Dauer nur sinnvoll, wenn es sich selbst trägt.

Ihre Sendung startet um 21.45 Uhr, jeweils Sonntag abends. Wollen Sie die Leute um ihren Schlaf bringen?

A: Wir wollen niemanden um den Schlaf bringen. Wir haben auch nichts dagegen, Leute am Sonntag abend noch ein bißchen aufzuregen. Sonntag 21.45 Uhr ist eine hervorragende, die bestmögliche und richtige Sendezeit für ein politisches Magazin.

B: Das ist die Zeit, zu der auf den meisten Kanälen der Spielfilm gerade zu ende ist, wo man sich gerne noch einmal eine politische Informationssendung anschaut, zumal es auf den anderen Kanälen am Sonntag abend gar keine politischen Sendungen gibt.

Wie kam es überhaupt zu Ihrer Programmbeteiligung bei RTL?

A: Das ist keine Beteiligung.

Also gut, zur Programmecke.

A: Es ist keine Programmecke. Es ist, wird sein, ein unabhängiges Fenster bei RTL. Im Augenblick sind wir noch in der Experimentalphase und deshalb sozusagen Gast bei RTL.

Warum machen sie beide solch eine personifizierte Moderation?

A: Ich verstehe nicht, was sie damit meinen. Wenn man moderiert, kann man das ja nur als Person machen. Wir wollen die Bedeutung des Moderators ganz bewußt herunterspielen. Deshalb haben wir auch diese etwas merkwürdige Büroathmosphäre gewählt. Wir wollen nicht Ansager der Nation sein, nicht Generalstaatsanwalt der Republik und auch nicht eine Art Bergpredigt verlesen.

Bertelsmann-Vorstand Lahnstein meint, mit Zeitschriftenredakteuren könne man nicht automatisch ein gutes Fernsehprogramm machen.

B: Das ist klar. Auch ein Spiegel-Redakteur ist nicht der geborene Filmemacher. Es kann sich ja auch ein Filmautor mit einem Spiegelredakteur zusammentun.

A: Im privaten Fernsehen haben die Verleger häufig versucht, Leute aus dem schreibenden Bereich zum Fernsehen zu versetzen. Das ist nicht immer besonders gut geglückt. Nach unserer Konzeption gibt es eben eine getrennte TV -Redaktion, einen eigenen Laden, in dem die Mitarbeiter etwas vom Fernsehen verstehen.

Montags liest man im Spiegel öfter zu Recht etwas über politische und programmliche Einflußnahme der Programmoberen der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ex-Panorama-Chef Peter Gatter sagte uns in einem Interview: „In meiner Zeit in Polen habe ich nie so viele unanständige Zensuranträge bekommen, wie in der Zeit, in der in Panorama mache.“ Wer ist denn bei Ihnen der Intendant?

A: Es wird hier keinen Intendanten geben. Ich bin formal Leiter dieser Sendung und wir werden in Abstimmung mit Stephan Burgdorff alle Entscheidungen gemeinsam fällen. Wir entscheiden was ins Programm kommt. Es gibt keine Zensurbehörde. Das ist das Außergewöhnliche. Stellen Sie sich vor: Fernsehen ohne Intendant.Interview: Henning Gehrmann

Susanne Härpfe

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