piwik no script img

"Als Türke bekomme ich kein Aids"

■ Kondome, Prostitution und Homosexualität sind Tabu / Türkische Ärzte leisten Aufklärungsarbeit

Berlin. „Ich bin Türke und Mohammedaner, ich kann kein Aids haben. Ich wasche mich schließlich nach jedem Geschlechtsverkehr“, sagt der junge Mann in der Aids- Beratungsstelle ADM der Berliner Gesellschaft türkischer Mediziner (BGTM). „Türken haben besseres Blut, da kann so etwas nicht passieren“, meint ein anderer. Seine Schwiegermutter in spe hat ihn hergeschickt, um seine Gesundheit und Zeugungsfähigkeit vor der Heirat sicher feststellen zu lassen.

Kondome sind für die meisten türkischen Männer tabu. Kaum eine türkische Frau würde es wagen, ihren fremdgehenden Gatten darum zu bitten, das in Zukunft mit Gummi zu tun. Über Themen wie Homo- und Bisexualität oder Prostitution wird nicht gesprochen. „Die Aids-Beratung bei Türken und anderen Menschen aus islamischen Staaten muß anders ansetzen als die bei Europäern“, sagt Ali Nadir Savaser, der Vorsitzende der BGTM. Das liege an den unterschiedlichen Sitten, Gewohnheiten und an der Religion. „Das Leben ist indirekter und symbolischer. Daher muß auch die Aufklärung indirekter, symbolischer und ausführlicher sein.“ Im September 1992 waren 28 der insgesamt 140.000 in Berlin lebenden Türken an Aids erkrankt, was statistisch dem Anteil der Erkrankten unter den Deutschen entspricht. Die Beratungsstelle in der Skalitzer Straße betreibt seit einigen Jahren Aids-Prävention unter der türkischen Bevölkerung Berlins. Die fünf Mitarbeiter gehen in Schulen und türkische Projekte, beraten persönlich und am Telefon und begleiten ihre Landsleute zu den Tests bei den Gesundheitsämtern. „Gegebenenfalls sind wir dann gleich da, um Betroffene zu betreuen“, sagt Savaser. Seit zwei Jahren macht er auch Sexualberatung per Fernsehen, jede Woche 45 Minuten bei dem Kabelsender „dt Berlin“. Auch in der Türkei müsse die Aids-Prävention in die Wege geleitet werden. „Die hier lebenden HIV-positiven Türken haben Angst, in ihre Heimat zu fahren, da es für Aids dort keine Anonymität gibt. Es hat doch jeder das Recht, in Ruhe in seiner Heimat zu sterben.“

„In der Türkei selbst ist Aids ein absolutes Tabuthema“, sagt Wolfgang Erichson, Leiter des Büros des Gesundheitssenators. „Es wird weder Prävention noch Sexualaufklärung betrieben, anonyme Tests sind nicht möglich, und spezielle Behandlungsmöglichkeiten existieren nicht.“ Obwohl erst 67 Aids-Fälle bekannt sind, rechnet die Weltgesundheitsorganisation daher mit einer hohen Dunkelziffer. Auf einem heute in Istanbul beginnenden ersten türkischen Aids-Kongreß wird zum ersten Mal öffentlich über dieses Thema in seinen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten gesprochen.

Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) ist gestern in die Türkei gereist. Gerade nach den Anschlägen von Mölln wolle er „ein deutliches Zeichen der Verbundenheit zwischen Deutschland und der Türkei geben.“ Er werde die Gelegenheit nutzen, über die Erfahrungen zu berichten, die in Berlin mit Aids-Aufklärungsarbeit und dem Umgang mit dem HIV- Antikörpertest gemacht wurden. „Zwangsmaßnahmen lösen dieses Problem nicht.“ cor

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen