press-schlag: Luft, Betten und Olympia
Kurt Tucholsky wusste schon 1924, was jetzt am IOC kritisiert wird
Im Jahr 2024 finden in Paris Olympische Sommerspiele statt, wie schon 1924. Damals hatte Kurt Tucholsky von dort berichtet und einen „ungeheuren Zusammenfluss von Vergnügungsreisenden, Sportsleuten der Olympischen Spiele, Diplomaten, Kaufleuten aus fünf Erdteilen, modischen Frauen, Schmarotzern, Abenteurern, Passanten, französischen Provinzlern“ beobachtet.
Wo dieser Tucholsky’sche Zusammenfluss 2024 unterkommen wird, ist derzeit umstritten. Das IOC hat nämlich mit Airbnb einen Sponsorenvertrag abgeschlossen, die Stadt Paris und die dortigen Hoteliers aber lehnen das Portal ab. Der französische Hotelverband UMIH hat sich sogar aus der Organisation des Weltereignisses zurückgezogen.
Der Streit hat Hintergründe: Airbnb ist die weltweite kapitalistische Erschließung der Gastfreundschaft, das IOC die entsprechende Erschließung von Spiel und Sport. Die französischen Hoteliers und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sind nicht unbedingt gegen so viel Globalisierung, aber ihre ökonomische und politische Potenz reicht nicht aus, um das ähnlich groß zu machen.
Hidalgo warnt nun den IOC-Chef Thomas Bach, dass Airbnb „zum Anstieg der Mietpreise beiträgt und den Mangel an Wohnungen auf dem Mietmarkt verschärft“. Damit hat sie ja recht, aber Bach interessiert so etwas doch nicht. Das IOC kennt keine Mieter, keine arbeitenden Menschen, keine normalen Leute. Olympia – das sind unglaubliche sportliche Leistungen, schöne Bilder und dazu immer die lukrativen Weltrechte. Wenn diese Kulisse nach den Olympia-üblichen drei Wochen abgebaut wird, bleiben eine verschuldete Kommune, leere Sportstätten und überteuerte Apartments zurück.
Der ja nicht unsympathische Protest von Hoteliers und Stadt tritt letztlich jedoch nur für eine gemäßigte, nicht internationale, sondern noch national reglementierte Kapitalisierung ein. Etwas kleiner, etwas gemütlicher soll es zugehen, aber das ist nichts substanziell anderes.
Das nationale Ereignis ist mittlerweile ein Weltevent geworden, aber eine Kulisse, die nur für kurze Zeit eine schöne Welt vorgaukelt, damit es danach für das Gros der Menschen schlechter weitergeht, war Olympia schon immer. Auch 1924. „Fast immer ist die ‚Aufmachung‘ sehr reizvoll, unerträglich nur da, wo sie ‚echtes altes Paris‘ vortäuscht“, hatte Tucholsky geschrieben. „Diese Art Romantik existiert entweder überhaupt nicht, oder sie ist nur zeitlich zu fassen, das heißt: man empfindet sie vielleicht nach Monaten. An einen Ort ist sie nicht gebunden.“ Martin Krauss
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