press-schlag: Jan Ullrich droht eine doppelt harte Tour de France
Vom Sockel gehauen
Wie wunderbar heil wäre doch die Welt des deutschen Radsports, wenn man seine Uhr einfach zehn Jahre zurückdrehen könnte. Jan Ullrich wäre der strahlende Sportheld der Nation, der sich im Glanze einer makellosen Karriere sonnen könnte, die Schlagzeilen würden beherrscht vom Etappensieg des Erik Zabel bei der Tour de Suisse und nicht von den Erzählungen eines ehemaligen Radsportdirektors in einer französischen Zeitung. Wie wunderbar heil wäre die Welt vor allem für das Unternehmen Telekom, das in den Genuss eines beispiellosen und dauerhaften Imageschubs käme. Natürlich: Man wüsste um einige seltsame Vorgänge im Radsport, eine unbarmherzige Hierarchie etwa, die den einen Radprofi zum Pascha, den anderen zum Sklaven stempelt, um die Macht des Portemonnaies, um schwarze Schafe, die sich dopen oder gar Geld für Hilfsdienste und Etappensiege bezahlen bzw. annehmen. Aber das wären Marginalien, die den Mythos von den Giganten der Landstraße und den Glamour der Telekom-Pedaleure nicht beeinträchtigen könnten.
Doch die Zeit lässt sich auch im Radsport nicht zurückdrehen, und dummerweise wollte es ein böses Schicksal, dass der begabteste Radfahrer, den dieses Land je hervorgebracht hat, ausgerechnet in einer Ära aktiv ist, in der die von ihm ausgeübte sportliche Profession nicht nur am Boden, sondern fast schon unter der Erde liegt. Dabei schaffte es das Team Telekom in den letzten Jahren auf wundersame Weise, sich die Aura der Unschuld inmitten allen Lasters zu bewahren. 1997 gewann Jan Ullrich die Tour und alles war eitel Sonnenschein. 1998 ging die Sache komplett den Bach runter, nur Ullrich nicht, der zwar verlor, aber dafür so sauber wie kein anderer strahlte – zumindest in der Heimat. Dann bestimmten überflüssige Pfunde und Schokoriegel die Diskussion, aber knüppeldick kommt es erst jetzt.
Aus der Unschuld ist die verfolgte Unschuld geworden, die Telekom-Verantwortlichen wittern Verrat an allen Fronten. Erst die Asthma-Attacke der italienischen Polizei, dann die Aussage des dopenden Exmasseurs Willy Voet, er kenne keinen sauberen Tour-Sieger – was etliche Radprofis vor einem Gericht in Lille genauso formuliert hatten – schließlich der Bestechlichkeitsvorwurf des ehemaligen Festina-Direktors Bruno Roussel, der den edlen Champion zum gemeinen Schacherer schrumpfen ließ. Die Reaktion des Team Telekom ist immer gleich, wird aber zusehends hektischer. Abstreiten, mit Klagen drohen, die doch nie kommen, die Urheber der Vorwürfe als unglaubwürdig hinstellen. Doch die Geste des Geldzählens, die Ullrich 1997 vor dem Etappensieg von Richard Virenque diesem gegenüber machte, ist absolut verbürgt, die Interpretation, es habe sich um einen Scherz gehandelt, jetzt nur noch schwer aufrechtzuerhalten.
Die Bonner Saubermänner hat es einwandfrei vom Sockel gehauen, auch für das Team Telekom wird es nun Zeit, offensiv an der Imageverbesserung des Radsports mitzuarbeiten statt nach Ausflüchten zu suchen und die Opferrolle zu pflegen. Äußerungen wie die von Sportdirektor Walter Godefroot, auch im Tennis habe doch gerade „eine Heroinsüchtige in Paris gewonnen“ (Jennifer Capriati, die mal mit Marihuana erwischt wurde), sind da wenig hilfreich. Ebenso wenig ist es die absurde Behauptung von Telekom-Sprecher Olaf Ludwig, im Radsport würden keine Rennen verkauft.
In zwei Wochen beginnt die Tour de France 2001, in die Jan Ullrich diesmal vielleicht ohne überflüssige Pfunde, aber mit einem Rucksack voller Probleme startet. Lance Armstrong, dem Sieger der beiden letzten Jahre, geht es nach hartnäckigen Dopingverdächtigungen nicht anders. Das Duell der beiden Favoriten dürfte diesmal in mehr als einer Hinsicht spannend werden. MATTI LIESKE
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