piwik no script img

press-schlagDer Radsport und die Schauspielkunst

Schmierenkomödie bei der Tour

„Ein großer Mime“, brüllte Eurosport-Kommentator Klaus Angermann begeistert, nachdem Lance Armstrong am Fuße des Aufstiegs nach L’Alpe d’Huez plötzlich die Augen verdreht, beängstigend gekeucht und insgesamt den Eindruck erweckt hatte, er werde sogleich vom Rad fallen. Mit Verlaub, Herr Angermann, das ist Unsinn. Fraglos gebührt dem Texaner, der nach seinem souveränen Sieg am Mittwoch beim Zeitfahren auf dem besten Weg ist, zum dritten Mal hintereinander die Tour de France zu gewinnen, hohes Lob. Seine komödiantische Einlage vor dem entscheidenden Antritt, mit dem er der Konkurrenz davonschoss, drängte solch nebensächliche Themen wie Epo, Etappenkauf oder Asthma-Epidemie an den Rand und rückte einen Aspekt in den Vordergrund, der viel zu häufig vernachlässigt wird: die hohe Schauspielkunst, die dem Radsport immanent ist wie Speichenbruch oder Hungerast und traditionell bei der Tour de France in voller Blüte steht. Aber ein großer Mime? Pustekuchen! Da gab es ganz andere.

Unvergessen zum Beispiel die frühe Hannibal-Lecter-Verkörperung, die Eddy Merckx so überzeugend zu geben pflegte, dass ihn die verängstigten Lämmer von der Konkurrenz liebend gern mit einer Ganzkörpermaske außer Gefecht gesetzt oder wenigstens durch Jodie Foster abgelenkt hätten. Zuvor hatten Gino „de Niro“ Bartali und Fausto „Depardieu“ Coppi bereits Bertoluccis „1900“ vorweg genommen, bevor dann später die französischen Realisten die Regie übernahmen. Allen voran Jacques Anquetil mit seiner existenzialistischen Yves-Montand-Parodie („Lohn der Angst“) und Bernard Hinault mit ausgeprägt handfestem Lino-Ventura-Charme („Adieu, Bulle“). Eine gute Figur machte aber auch Laurent Fignon, dessen Dustin-Hoffman-Brille und Daniel-Day-Lewis-Pferdeschwanz die passenden Requisiten für seine gekonnte Verquickung von Papillon und letztem Mohikaner abgaben. Einzig Hollywood in Gestalt von Greg LeMond musste mit der Coverversion von Anton Tschechows „Tragödie auf der Jagd“ natürlich wieder übertreiben.

Miguel Induráin war es vorbehalten, nicht nur als erster Radfahrer die Tour gleich fünfmal hintereinander zu gewinnen, sondern auch in verschiedenen dramatischen Genres zu überzeugen. Zwar wird jetzt Armstrong ebenfalls allenthalben als „überirdisch“ gefeiert, obwohl man doch inzwischen weiß, dass Erfolge im Radsport eher auf unterirdische Weise zustande kommen, doch gegen die einzig wahre Darstellung des Pedaleurs vom anderen Stern, die der Spanier auf die Landstraßen, welche die Welt bedeuten, legte, nimmt sich der Texaner aus wie Mork vom Ork gegen Sigourney Weavers Alien. Unerreicht auch Induráins vollendete Buster-Keaton-Interpretation, spektakulär das mit seinen kongenialen Sidekicks Claudio Chiappucci und Gianni Bugno inszenierte Remake von Sergio Leones „The Good, The Bad and The Ugly.“ Eli Wallachs Rolle des schuftigen Tuco war dabei fest an Chiappucci vergeben, welcher der beiden anderen den bösen Part von Lee van Cleef und welcher den guten von Clint Eastwood spielte, hängt vom nationalen Blickwinkel ab.

Man muss es ehrlich sagen, Lance Armstrongs von James Cagney abgeschaute Nummer des waidwunden Gangsterbosses war gegen die großen Vorbilder das reinste Schmierentheater. Der Texaner chargierte wie Hollywoods personifizierte Fehlbesetzung, Michael Douglas, in seinen finstersten Momenten, abgesehen davon, dass die Vorstellung komplett sinnlos war. Keiner fiel auf den vermeintlichen Schwächeanfall rein, und wenn es jemand getan hätte, wäre nur Armstrong der Gelackmeierte gewesen, weil er auf einen Angriff ja hätte reagieren müssen und so die ganze sorgfältige Planung seiner eigenen Attacke durcheinander geraten wäre. Nein, man kann nur hoffen, dass der Mann aus Austin sich im weiteren Verlauf der Tour damit begnügt, als Speedy Gonzalez aufzutreten, die schnellste Maus von Mexiko, wozu Texas ja von Rechts wegen auch gehört.

Und Jan Ullrich? Dem bleibt wohl nichts anderes übrig, als zum vierten Mal seine Hauptrolle in der verschlankten Neufassung eines Klassikers mit Orson Welles zu interpretieren: „Der zweite Mann“.

MATTI LIESKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen