piwik no script img

press-schlagVom vizeweltmeisterlichen Parforcegerumpel geht es nun in die grauen Niederungen der EM-Qualifikation

Wann macht Teamchef Rudi Völler den großen Schnitt?

Die gute Nachricht: Michael Ballack wird am 7. September wohl wieder dabei und möglicherweise sogar vollkommen gesund sein. Die schlechte: Es geht dann nicht gegen Brasilien und schon gar nicht um Weltmeisterehren, sondern für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steht in Kaunas das erste Spiel der Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 in Portugal gegen Litauen an.

Wenn wir mal davon ausgehen, dass Teamchef Rudi Völler nach dem unverhofften Parforcegerumpel durch die Kuriositäten-Weltmeisterschaft in Asien mit auch spielerisch niveauvollem Ausklang alle Rücktrittsgedanken ad acta gelegt hat, dann steht ihm kurzfristig vor allem eine Aufgabe bevor: die aus dem WM-Kader verbliebenen Akteure von den lichten Höhen des Vizeweltmeistertums unfallfrei in den grauen Alltag des europäischen Durchschnittsfußballs zu überführen. Denn mag die Gruppe mit Litauen, Schottland, Island und den Färöerinseln auf den ersten Blick auch puppenleicht erscheinen, in Wirklichkeit ist sie es nicht. Zwar gibt es, anders als bei einer WM, in der Qualifikation Hin- und Rückspiel und damit mehr Möglichkeiten, Patzer auszuwetzen, doch Überraschungen sind auch hier jederzeit möglich. Der größte Feind des deutschen Teams könnte die Rückkehr alter Überheblichkeit sein, zum Beispiel der Glaube, tatsächlich das zweitbeste Team bei der Weltmeisterschaft gewesen zu sein und nicht die Nummer neun oder zehn, wie es von der Spielstärke her der Fall war.

Die EM in zwei Jahren stellt Rudi Völler außerdem vor ein Dilemma, das schon Sepp Herberger erkannte, als er die Mitwirkung des DFB-Teams an den ersten Europameisterschaften verweigerte. Wann soll er einen Schnitt machen und die Mannschaft drastisch verjüngen? Linke, Bierhoff, Bode haben zwar ihren Abschied genommen, doch viele andere könnten wohl noch die EM spielen, sind für die WM 2006 aber zu alt. Als da wären: Kahn, Lehmann, Rehmer, Wörns, Nowotny, Hamann, Jeremies, Schneider, Neuville, Ramelow, alle dann deutlich über 30. Natürlich könnte mancher trotzdem noch mitspielen, zu viele von der Sorte wären jedoch fatal. Das Durchschnittsalter von Weltmeisterteams liegt meist bei etwa 28 Jahren, und selbst vermeintliche Jungspunde wie Ballack, Frings oder Ricken gehen ja in vier Jahren munter auf die 30 zu. Was daran liegt, dass in Deutschland die Spieler recht spät zu Länderspielehren kommen, wenn man es mit anderen Nationen vergleicht. Da haben Leute wie Raúl oder Owen schon 40 Länderspiele auf dem Buckel, wenn in Deutschland die Talente noch langsam an größere Aufgaben herangeführt werden.

Die Frage ist also, ob sich der Teamchef schon im Vorfeld der EM sukzessive von verdienten Kräften trennt und sie durch junge Nachrücker ersetzt, ob er dies erst danach tut, wenn die Zeit langsam knapp wird und wegen bereits erfolgter Gastgeberqualifikation keine wirklich ernsthaften Länderspiele mehr anstehen, oder ob er, wie Berti Vogts 1994 und 1998, lieber auf ein Methusalem-Team setzt. Die Berufung von Nachwuchsleuten wie Daniel Bierofka, Christian Rahn, Tobias Willi, Sebastian Schindzielorz, Fabian Ernst oder Paul Freier in den Vorbereitungskader für die WM spricht deutlich gegen letztere Variante. Am 7. September in Kaunas wird man auch in dieser Hinsicht klarer sehen.

MATTI LIESKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen