portrait : Stammhalter für Chrysanthementhron
Die japanische Prinzessin Kiko hat die älteste Monarchie der Welt vor dem Aussterben bewahrt und einen Jungen geboren. Das kaiserliche Geschöpf tat um 8.27 Uhr Ortszeit seinen ersten Schrei, nachdem es per Kaiserschnitt geholt worden war. Der Knabe wiegt 2.558 Gramm und ist vorerst namenlos. Ob dieser Sensation unterbrachen japanische Radio- und Fernsehsender gestern Morgen ihr Programm. Das Neugeborene und die Mutter sind nach Angaben des Palastes wohlauf. Der Junge – Sonnenzeichen Jungfrau, Aszendent Waage – steht damit in der Thronfolge an dritter Stelle, hinter seinem Onkel, Kronprinz Naruhito, und seinem Vater Akishino.
Mit der Geburt des ersten männlichen Erben seit 41 Jahren dürfte die hitzige Debatte, ob in Japan Frauen zur Thronfolge zugelassen werden sollen, vorerst beendet sein. Der kleine Prinz wird binnen einer Woche einen Namen erhalten. Dann dürfte er praktisch vom Wickeltisch weg in die Obhut des gestrengen kaiserlichen Haushofamtes kommen. Ein Schicksal, das nun seiner Cousine Aiko, der fünfjährigen Tochter des Kronprinzenpaars, erspart bleibt. Denn nun wird der Junge auf seine künftige Rolle als Tenno vorbereitet. Noch bevor er in der Lage ist, seinen Schnuller zu halten, bekam der Säugling gestern ein Schwert vom Gesandten seines Großvaters Akihito.
Bis der Kleine in ferner Zukunft vielleicht der 127. legitime Nachfolger von Jimmu, dem ersten Kaisers der Dynastie wird, muss er eine harte Schule durchlaufen. Da der Tenno zugleich auch oberster Shinto-Priester ist, wird der Thronfolger bereits als Kleinkind in die komplexen Rituale dieser Religion mit ihren ungezählten Gottheiten und Schreinen eingeführt. Seine Studien wird der kleine Prinz später an der Tokioter Gakushuin-Universität absolvieren.
Ansonsten dräut dem künftigen Repräsentanten der Einheit Nippons ein eher spartanisches Leben. Abgeschirmt von stocksteifen Dienern wird er im schlichten Palast in Tokio aufwachsen. Gefühlsausbrüche sind im strengen Zeremoniell ebenso wenig vorgesehen wie freche Bemerkungen oder flotte Sprüche. Er wird keinen Reisepass besitzen, nicht wählen oder sich scheiden lassen dürfen. Teure Hobbys oder wilde Partys sind im Lebenslauf auch nicht eingeplant. Die Steckenpferde sollen möglichst nichts mit Politik zu tun haben: Der jetzige Tenno züchtet Fische, der Kronprinz studiert die Geschichte englischer Wasserstraßen, und Vater Akishino erforscht eine Hühnerart. Viel Zeit, um mit Cousine Aiko und seinen beiden großen Schwestern Mako und Kako in den Palastgärten zu spielen, wird dem kleinen Prinzen nicht bleiben.
MARCO KAUFFMANN, CA
tazzwei SEITE 14