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Archiv-Artikel

portrait Polnischer Erzbischof mit Vergangenheit

Ein Stasispitzel als neuer Erzbischof von Warschau? Medien in Polen werfen dem Geistlichen vor, in den 70er- und 80er-Jahren gleich mehrere Pseudonyme verwendet zu haben. Als „Grey“ soll Stanisław Wielgus eine Stasi-Verpflichtungserklärung unterzeichnet haben. Mit „Adam“ und „Adam Wysocki“ unterhielten sich Stasi-Führungsoffiziere. „Er war ein wertvoller Agent“, urteilt die konservative Rzeczpospolita.

Wielgus habe sogar einen speziellen Kurs für Auslandsagenten absolviert. Am nächsten Sonntag soll der 67-Jährige als Nachfolger von Primas Józef Glemp in sein neues Amt in Warschau eingeführt werden. Ob es zur großen Messe kommt, ist fraglich. Noch steht der Vatikan hinter dem Geistlichen. Doch zwei Kommissionen, eine kirchliche und eine weltliche, untersuchen die Stasiakte des langjährigen Rektors der Katholischen Universität in Lublin (KUL) und späteren Bischofs von Płock. Ihre Berichte werden demnächst vorliegen. Schon jetzt sickern jedoch immer mehr kompromittierende Einzelheiten aus der Akte durch.

Dass es in der Vergangenheit der katholischen Kirche Polens ein sehr dunkles Kapitel gibt, ist lange bekannt. Doch anders als bisher behauptet, wurden die Stasiakten der Kirchenspitzel nicht vollständig vernichtet.

Wielgus wollte Karriere machen und ins westliche Ausland fahren, erklärt die Rzeczpospolita das Motiv Wielgus’, mit der Stasi zusammenzuarbeiten. Tatsächlich gab es für den Sohn einer armen Bauersfamilie im kommunistischen Polen nur zwei Möglichkeiten, dem Elend auf dem Land zu entkommen: die Partei oder das Priesterseminar. Die Eltern der fünf Kinder sparten sich das Geld vom Munde ab, um zumindest dem kleinen Stanisław eine gute Schulbildung zu ermöglichen.

Besser wurde es erst nach seinem Eintritt ins Priesterseminar, als die Kirche für Essen und Kleidung aufkam. Klaglos verrichtete der Priester sein vierjähriges Vikariat, studierte Kirchengeschichte und Philosophie, wurde Spezialist für mittelalterliche Handschriften – und bekam eine erste Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der KUL in Lublin.

Da hatte er die ersten Stasi-Kontakte hinter sich. 1973 bot sich dem jungen Wissenschaftler die Möglichkeit, mit einem der begehrten Alexander-von-Humboldt-Stipendien nach München zu fahren. Doch ohne Pass war das unmöglich. Die Stasi erhöhte den Druck, und so verpflichtete sich Wielgus, im Westen zu spitzeln. Zwar bekam er keine Stelle in der Religions-Redaktion von Radio Free Europe in München, doch die Stasi war auch so mit seiner Arbeit zufrieden. Erzbischof Wielgus liegt nun eine Kopie seiner Stasiakte vor. Ob er bis Sonntag dazu Stellung nehmen wird, ist noch offen. GABRIELE LESSER