: „politik wird nur noch inszeniert“
■ interview mit herbert wulfekuhl, leiter der landeszentrale für politische bildung, und mitveranstalter des 1. festivals „politik im freien theater“ / „politische inszenierungen theatralisch entlarven“
taz: politik wird heutzutage nur noch inszeniert - wie kommen sie zu dieser altbekannten these?
herbert wulfekuhl: die heute 40jährigen politprofis haben
während der apozeit die politische Arbeit von der pike auf gelernt, denen kann man einfach nichts mehr vormachen. die zerbrechen sich täglich den kopf, mit
welcher vorgehensweise sie die richtigen bilder und botschaften bei den menschen erzeugen können, damit diese die richtigen emotionen haben und in ihrem sinne handeln.
die altbekannte nähe von politik und theater - staatstheater also?
ja, allerdings. jeder, der gut inszenieren kann, ist auch lernfähig, guckt ab, und wenn das freie theater in seinen ausdrucksformen besser wird, dann werden diese Ausdrucksformen auch von der politik übernommen.
ich hätte nichts dagegen, wenn politiker kreativer würden.
lafontaine ist einer dieser politiker. er ist ja auch wie geissler in die jesuitenschule gegangen. lafontaine besetzt inhalte neu, und die inhalte, die er vertritt, sind nicht so einfach austauschbar - und damit ist auch lafontaine nicht so schnell verwechselbar wie manch andere politikerfigur.
die „figuren„-arbeit ist ein zentraler bestandteil der schauspielerei.
der austausch der politik(er)figuren ist der weg weg von der glaubwürdigkeit. die politik in deutschland kann sich heutzutage skandale in unvorstellbarem ausmaß leisten, ohne daß jemand die konsequenzen zieht. ich denke da an barschel, pfeiffer, die flick-spendenaffaire oder die sache mit dem st.-jürgen-krankenhaus. ich verstehe nicht, warum noch keiner daran sitzt, zur barschel-affaire ein textbuch zu schreiben, das in der chefetage der kieler staatskanzlei spielt.
um mit dem blechtrommler aus berlin, wolfgang neuss, zu sprechen: „das leben ist einfach kabarettistischer als das kabarett selbst!“
dennoch ist es wichtig, den leuten
irgendwie mitzuteilen: mit euch wird theater gespielt. ihr werdet manipuliert. wenn das theater sich zurückzieht aus der politik aufgrund der perfekten inszenierungen der politik, dann wird's gefährlich.
warum lassen sie das festival nicht in den von ihnen so geschätzen kulturzentren der „neuen sozialen bewegungen“ stattfinden?
so ganz stimmt das nicht. wir haben mit dem lagerhaus schildstraße noch nachträglich abmachungen getroffen, und das freiraum-theater hat bestimmt auch eine nähe zur „neuen sozialen bewegung“. trotzdem und deshalb ist ihre frage berechtigt: wollen wir, daß sich etablierte politiker und auch etablierte zuschauerschichten mit den f(c)OEOEgruppen auseinandersetzen und somit auch den freien gruppen neue schichten zugeführt werden? es soll kein festival für die szene sein. es ist auch als kompliment an die freie theaterszene gedacht, die ein gesellschaftspolitisches verdienst hat, inhalte glaubwürdig zu vertreten, sodaß überhaupt noch öffentliche diskussionen im theater stattfinden.
werden die freien theatergruppen tatsächlich so ernst genommen?
seit zwei jahren vergeht keine sitzung der landeszentrale für politische bildung in der brd, wo wir uns nicht fragen, wo sind wir hingeraten mit der politischen bildung - bzw. wo sind wir „hingeraten worden“ durch inszenierungen der politik. und das betrifft eben die glaubwürdigkeit, und die haben die freien theatergruppen. so können wir wahrscheinlich davon etwas gebrauchen.
theatermacher als die großen retter aus der sinnkrise?
das wäre wohl übertrieben. klar besteht die gefahr der aneignung und der vereinnahmung. es gibt aber auch die überlegung, die freien theatergruppen mehr zu unterstützen, ohne sie zu verändern. geldgeber, und das ist z. B. eine gefahr des sponsorentums, haben oft nur das interesse, sich einzumischen oder sich ein alibi zu schaffen. eine größere staatliche unterstützung mit nachfolgender kontrolle ist aber auch abzulehnen.
vielleicht können sich die freien gruppen in diesem mörderischen existenzkampf, der ja auch was mit unabhängigkeit zu tun hat, modernere „managementformen“ angewöhnen. nach spätestens 10 Jahren sehen sich alle freien gruppen vor der gleichen fragestellung, nämlich: können wir weitermachen, wie wir angefangen haben, oder lösen wir uns auf, oder professionalisieren wir uns? versuche, sich in der gesellschaft aus der gesellschaft zu flüchten, scheitern immer früher oder später.
haben sie sonst noch wünsche?
ja: etwas den echten emotionen der ausländerfeindlichkeit und der naiven deutschtümelei entgegenzusetzen und die politischen inszenierungen mit hilfe theatralischer inszenierungen zu entlarven. theaterstücke, die für den zuschauer sinnlich erfahrbar machen, wie politik geht. aber auch, daß die unvernünftig niedrige finanzielle unterstützung der freien gruppen in bremen erhöht wird und verbände, parteien, schulen und die staatlichen institutionen mehr auf die freien theatermacher zugehen.
interview: reinhold schäfer, schauspieler im freiraum-theate
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