politik und werbung: Scheinheilige Sprachpolizei
Mit ihrem politisch korrekten Beißreflex waren die Jugendpolitiker schnell bei der Hand. Mit der Plakatkampagne für sein stadtweites Fußballturnier mache der Sportkonzern Nike „auf fragwürdige Weise Ballspiele ohne Regeln populär“, monierte der grüne Abgeordnete Dietmar Volk. Und Schulsenator Klaus Böger (SPD) ließ wissen, in den Schulen würden die Plakate schon seit Ende September nicht mehr aufgehängt.
Kommentarvon RALPH BOLLMANN
Gewiss: Ein wenig martialisch kommen die Plakate mit Slogans wie „Gott vergibt. Ich nicht!“ schon daher. Aber der Erfolg der Kampagne – immerhin haben sich 500 Teams um die Teilname am „Bezirks Battle“ des Konzerns beworben – belegt: Die Werbestrategen haben die Sprache der Adressaten besser getroffen als Sozialpädagogen oder Studienräte. Und der unterschwellige Vorwurf, die Werbung bediene sich einer faschistoiden Ästhetik, ist absurd: Der düstere Expressionismus der Plakatmotive hätte in den Dreißigern wohl als „Entartete Kunst“ gegolten.
Zu jener Art von oberflächlicher Werbeästhetik, die Kulturkritiker zu geißeln pflegen, zählen die Nike-Plakate gerade nicht. Im Gegenteil: Statt eine Welt der Schönen und Erfolgreichen vorzugaukeln, nehmen sie die soziale Realität der Stadt endlich auf. Schon die Kinospots, die Motive aus Kreuzberger Hinterhöfen zeigte, schuf ein positives Identifikationsangebot.
Oft beschwören Politiker die Sportförderung als Königsweg gegen Gewaltbereitschaft. Dabei haben sie offenbar nur an die etablierten Sportvereine mit ihrer biederen Vereinsmeierei gedacht – und nicht an die anarchische Kraft des entfesselten Kapitalismus, der Turnschuhe verkaufen will und ganz nebenbei die Kids von der Straße holt. Ihren Gipfel erreicht die Scheinheiligkeit, wenn sich die Politik über den elitären Duktus der Nike-Slogans mokiert. Mit manchem Spruch könnte Böger auch für sein Expressabitur werben: „Willst Du einer von Tausenden sein? Oder einer von Fünf?“
bericht SEITE 20
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen