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pinochet vor gerichtVerengter Blick auf die Diktatur

Die chilenische Justiz zeigt sich erfreulich entschlossen. Richter Guzmán scheint tatsächlich willens zu sein, den ehemaligen Diktator Augusto Pinochet vor Gericht zu stellen. Auch er mag Zweifel haben, ob die rechtliche Argumentation der Anklage vor den Berufungsinstanzen standhält und ob der Gesundheitszustand des 85-Jährigen tatsächlich einen Prozess ermöglicht. Dennoch hat Guzmán zunächst konsequent zugunsten der Nebenkläger entschieden, zugunsten der Angehörigen der Opfer nämlich, die den Hauptverantwortlichen für mindestens 3.000 politische Morde und ungezählte Folterungen endlich als Verbrecher verurteilt sehen wollen.

Kommentar von BERND PICKERT

Erst einmal geht aber das juristische Gezerre weiter – wie es eben ist, wenn ein ehemaliger Gewaltherrscher mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Verantwortung gezogen wird. Womöglich wird auch das Militär noch einmal vernehmlich grummeln, wie im Dezember nach der ersten Anklage, als der sozialistische Präsident Lagos sich gezwungen sah, den von den Generälen dominierten Nationalen Sicherheitsrat einzuberufen. Sollen sie grummeln, das ist die Nachricht von Richter Guzmán – die Justiz geht ihren Weg.

Das allerdings, und das ist eben die andere Lehre aus diesen bewegten zwei Jahren seit Pinochets Verhaftung in London, tut niemandem mehr wirklich weh, außer eben Pinochet selbst und einigen anderen persönlich in die Verbrechen der Diktatur verstrickten Armeeangehörigen. Die juristische Vergangenheitsbewältigung ist in Chile nicht zufällig erst in Gang gekommen, als die Menschenrechtsverletzungen des Militärregimes von der Frage des ökonomischen Modells abgekoppelt diskutiert wurden. Die Politik der derzeitigen sozialistischen Regierung zeigt das überdeutlich: Das Andenken Salvador Allendes wird in Ehren gehalten, doch Allendes „Weg zum Sozialismus“ ist in Chile nicht populärer als sonstwo auf der Welt. Die Militärdiktatur Chiles aber war keine Selbstverwirklichungsveranstaltung durchgeknallter Armeesadisten, sie war eine Intervention gegen sozialistische Experimente auf dem südamerikanischen Subkontinent. Doch die Konzerne, in deren Interesse die Militärs die Macht übernahmen, zieht niemand zur Verantwortung.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass erst diese Abkoppelung beim Blick auf die Vergangenheit die heutige „Bewältigung“ möglich macht, die dann eher einer Entsorgung gleichkäme – ein bitterer Nachgeschmack einer eigentlich guten Nachricht.

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