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peter ahrens über ProvinzVon akademischer Tiefe unbeschwert

Wer je die Universität-Gesamthochschule in Paderborn besuchte, hat ein gestörtes Verhältnis zum Bundespräsidenten

Als in meinem Fernsehapparat vor Tagen virengefüllte Seehundkadaver in die Kameras gehalten wurden, fühlte ich mich, abgesehen von dem Gedankenspiel, dass Staupe demselben Wortstamm zu entspringen scheint wie Stoiber, an meine Kindheit erinnert. Literatur und Film erwecken bekanntlich gern den Eindruck, Jungens-Kindheiten bestünden gutteils aus der Wonne, Tiere zu quälen, zum Beispiel Katzen Blechdosen an den Schwanz zu binden, als seien sie frisch verheiratet. Vor allem erfreue sich das Aufblasen von Fröschen großer Beliebtheit, in dem ihnen rektal ein Strohhalm eingeführt wird. Nach dem Leitsatz der Vortragskünstlerin Lena Valaitis, nachzulesen in dem Standardwerk „Blue, blue, blue Johnny Blue“: Kinder können grausam sein. Ich habe tatsächlich nie jemanden persönlich kennen gelernt, der passionierter Amphibienaufblaser war und halte das für eine Legende zu früh abgestillter Drehbuchautoren, so ähnlich wie die Spinne in der Yuccapalme. Mein Bruder und ich haben vielmehr in den Bächen der Umgebung Kammmolche aufgesammelt und sie dann in einer Kinderbadewanne in unserem Garten wieder ausgesetzt. Am nächsten Tag waren alle rätselhafterweise verschwunden, und wir hatten den Nachbarjungen als Dieb im Verdacht, der bei unseren Ansiedelversuchen neugierig über den Gartenzaun gelugt hatte. Der hatte schließlich bereits unser Tretauto mit Vehemenz gegen den Garagenpfeiler gesetzt und galt darob als a priori suspekt. Es waren halt die wilden 70er-Jahre in Paderborn.

Mein Bruder hat anschließend Biologie studiert und aufgrund seiner dort gesammelten Profundien die These entwickelt, es waren wohl vielmehr doch Vögel, die sich das so präsentierte gefundene Molchfressen nicht entgehen lassen konnten. Solche Erkenntnisse konnten allerdings nur in der Fremde reifen. Er machte nicht den Fehler anderer engster Angehöriger, den Studienort Paderborn zu wählen. Wer in Hamburg, Köln oder Berlin, gar Göttingen oder Eichstätt seinen Studien nachgeht, dem sei erläutert: Es war der damalige Wissenschaftsminister Nordrhein-Westfalens, der Paderborn in den 70ern zum Standort einer Universität-Gesamthochschule adelte. Der Minister hieß Johannes Rau. Wer seitdem in Paderborn die Hochschule besuchte, hat daher heute ein mindestens gestörtes Verhältnis zu seinem Staatsoberhaupt. Da zur Gründerzeit zu wenig Professoren zur Verfügung standen, um die Fachbereiche zu füllen, wurden Studienräte, die drei Sätze geradeaus schreiben konnten, in den Professorenstand gehievt, und das von akademischer Tiefe weitgehend unbeschwerte Almamatertum konnte losgehen.

Demjenigen, der Studiengebühren fordert und dafür den Füller schwingt, sei zum Beispiel ein Blick in die historische Fakultät der Uni-GH Paderborn empfohlen. Er wird purgatorisch gereinigt daraus hervorgehen, die stete Beschwörungsformel murmelnd: Dafür auch noch Geld ausgeben – wär ja noch schöner.

Die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften führen hier traditionell ein Wurmfortsatzdasein, während 50 Kilometer weit weg in Bielefeld die Doyens der Geschichtswissenschaft daheim waren. In Bielefeld regierten Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler in der Zeit, als der noch keine Muselmanen frühstückte. Paderborn hatte Gertrud Höhler.

Letztens habe ich Frau Höhler wieder gesehen, natürlich in einem Fernsehstudio, wo sie – ich weiß nicht mehr, ob es auf Neun Live oder Super-RTL war – das TV-Duell zu analysieren trachtete. Die eingeblendete Bauchbinde wies sie als Unternehmensberaterin aus. Zu den saumseligen Zeiten des Altkanzlers galt sie noch als Kanzlerberaterin. Ein Job, der offensichtlich so knochenhart war, dass sie ihren Lehrverpflichtungen an der Hochschule eher nachlässig nachkommen konnte. Immerhin gelang es mir einmal, in einer Vorlesung einen Blick auf sie zu erhaschen. Da erklärte sie dem Auditorium gerade, wie anbiedernd es von Lehrern ist, wenn sie in Jeans vor eine Schulklasse treten. Die Studierendenschaft, die zu einem gerüttelt Maß den Tiefen des Sauerlandes entstammt, hat das folgsam mitgeschrieben.

Zum Altkanzler fällt mir eine nette Geschichte ein. Die Hamburger Morgenpost hat in den vergangenen Tagen eine kleine Meldung zum letzten Bundestagsauftritt Helmut Kohls veröffentlicht. Dazu hat sie ein Foto des Altkanzlers abgedruckt mit der Bildunterschrift: „Es wird enger für Bin Laden.“ Die USA bereiten bereits den Antrag auf Auslieferung des Topterroristen aus Oggersheim vor.

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