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peter ahrens über ProvinzSchmandt Samen – immer zuverlässig

Es ist schon toll, wenn ein Leibhaftiger aus dem Fernsehen sich nach Paderborn verirrt, um Politiker zu werden

Als in meinem Fernsehapparat und auch sonst überall vor Tagen ein älterer Herr mit Buchhalterbrille und schief sitzender Krawatte omnipräsent war, der im deutschen Freitagskrimi die Idealbesetzung für den getreuen Prokuristen des ermordeten Fimeninhabers Peter Bongartz gegeben hätte, fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert. Von dem eifrigen FDP-Wahlkämpfer Rudolf Augstein im Wahlkreis Paderborn hatte ich als wahlunmündiger Sechsjähriger nur verschwommenst etwas mitbekommen. Glaubt man den Fernseharchivbildern, hat er sich damals ja auch vorzugsweise im Nachbarstädtchen Rheda-Wiedenbrück herumgetrieben, wo er in Anwesenheit von Hans-Dietrich Genscher vehement für eine Umgehungsstraße gestritten hat. Deutlicher vor Augen steht mir sein direkter Wahlkreiskonkurrent Rainer Candidus Barzel, seines Zeichens zu jener Zeit Kanzlerkandidat der Union, was dazu führte, dass sich die gesamte deutsche Medienöffentlichkeit der damaligen Zeit, also ARD, ZDF und Stern, einem kleinen Wahlkreis im Ostwestfälischen zuwandte. Augstein gewann schließlich 4,1 Prozent der Zweitstimmen, rekordverdächtige 0,2 Prozent mehr als sein FDP-Vorgänger, was ihn in diesem Wahlkreis bedrohlich nahe an die Stimmenzahl der Sozialdemokratie heranrücken ließ. Barzel holte derweil irgendetwas mit 80 Prozent. Es waren halt die wilden 70er-Jahre in Paderborn.

Irgendwie interessant, dass Augstein, „der größte Journalist seiner Zeit“, wie ich irgendwo gelesen habe, in derselben Partei aktiv war wie Jürgen W. Möllemann. Fast so interessant, dass Möllemann auf der Homepage www.moellemann-muss-bleiben.de immerhin inzwischen 643 Unterschriften zusammenbekommen hat, die verlangen, dass er künftig wieder eine größere Rolle in der Politik spielen sollte. Aber das alles nur nebenbei. Ich trinke ein Glas Cognac auf Augstein, und damit muss es auch gut gewesen sein. Man kann ja nicht dauernd 168 Seiten zu diesem Mann voll schreiben. In so einer kleinen Zeitung wie dieser müssen auch mal 30 Zeilen reichen.

Der Spiegel-Chef hatte bei uns in Paderborn eine schöne Tradition begründet. Zwar war er nach zwei Monaten aus dem Bundestag schon wieder verschwunden, doch die Idee, Berichterstatter zu Akteuren der Politik zu machen, spukte seitdem auf ewiglich in ostwestfälischen Schädeln herum. Nach Augstein war es dann vor allem Friedhelm Ost, ein rosiger Vierschrot mit leuchtenden Ohren, der den Paderbornern in der Bundespolitik alle Ehre machte. Ost wurde in den frühen 90ern den heimischen Christdemokraten mit dem Argument aufgeschwatzt, er habe zuvor bereits eine wichtige Wirtschaftssendung im ZDF moderiert, die aber nie jemand wirklich gesehen hatte. Doch das Gerücht reichte, um ihn auf Jahre als Kandidat der Paderborner CDU Legislaturperiode für Legislaturperiode mit satten 65-Prozent-Mehrheiten ausgestattet in den Bundestag zu schicken.

Ein Leibhaftiger aus dem Fernsehen, der sich beim Schützenfest einfach so zwischen die fetten Mettwürste und Schützenbrüder hockt, seine Pfeife ansteckt und davon zu erzählen beginnt, wie Helmut Kohl ihn einst als Regierungssprecher mit ins Allerheiligste der Kanzlermaschine genommen hat. Toll. Dann ist Schweigen wie am Lagerfeuer, wenn der Westmann berichtet, wie er den Grizzly mit einem Messerstich direkt zwischen die Augen in die ewigen Jagdgründe geschickt hat. Wo sich doch ansonsten nur in Ausnahmefällen, also zur Libori-Kirmes oder wenn der Erzbischof stirbt, ein Regionalreporter des Westdeutschen Rundfunks nach Paderborn verirrt, entsandt aus dem Landesstudio Bielefeld, dort, wo die große Welt zu Hause ist, die Oetkers und Arminia.

Meistens streute Ost unter dem Wahlvolk dann noch beiläufigst ein, dass er Dauerkarteninhaber bei Borussia Dortmund ist und letztens noch mit dem ewigen Kanzler und Gorbatschow deftig zu Abend gespeist habe, und die Wahl war für die SPD, die dagegen gemeinhin irgendwelche unausgelastete Grundschullehrerinnen oder lichthaarige Familienanwälte ins Rennen schickte, wieder mal hoffnungslos verloren. Wahlabende waren stets Triumphe der CDU und ihres Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung Paul Schmandt, der nebenbei ein Geschäft für alle möglichen Waren vom Wellensittich bis hin zur Atombombe führte, ein Geschäft, das mit dem schönen Slogan plakatierte: „Schmandt Samen – immer zuverlässig“. Und ein Geschäft, das mir in Erinnerung blieb, weil dort die Angestellten verdonnert wurden, sämtlichen Kunden, die den Laden betraten, Einkaufskörbe in die Hand zu drücken. Damit bloß niemand auf den Gedanken kam, ohne etwas zu kaufen das Geschäft wieder zu verlassen.

Journalisten im Bundestag – heute fällt mir da nur noch der stramme CDU- und ZDF-Mann Reinhard Grindel mit seinem wasserdichten Primanergesicht ein. Schief sitzt die Krawatte bei dem garantiert nie.

Fragen zur Provinz?kolumne@taz.de

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