piwik no script img

perfektes coming-outWo, was, wann – Wowereit weiß es

So etwas braucht wirklich Mut. Sich vor Berlins versammelte Sozialdemokraten zu stellen und auszurufen: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Klaus Wowereit wusste sehr wohl, wem er da präsentiert, was eigentlich nur ihn etwas angeht. Nicht nur den „lieben Genossinnen und Genossen“. Nein, Klaus Wowereit war natürlich klar, dass er sein Coming-out direkt in die Fernsehnachrichten und auf die Titelseiten der Zeitungen rief, die in Berlin wie in keiner anderen deutschen Stadt schamlos die Ressentiments der Ungebildeten und Ängstlichen ansprechen. Mutig, gewiss.

Kommentarvon ROBIN ALEXANDER

Aber alle, die jetzt allein Wowereits Courage bewundern, tun dem Mann Unrecht. Sein Schritt ist nicht in erster Linie ein persönlicher Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt. Wowereit hat seine Homosexualität nie versteckt, sie jedoch auch nicht thematisiert – bis Sonntag. Hat er jetzt ein angeblich drohendes Outing abgewehrt? Allein die Möglichkeit einer „drohenden Schlammschlacht“ sammelte die SPD hinter ihrem bis dahin nicht unumstrittenen Kandidaten.

Die wirkliche politische Meisterleistung besteht tatsächlich im Timing: In dieser Woche wird die Republik darüber reden, ob ein Homosexueller Regierender Bürgermeister werden darf. Am Ende der Woche wird sich dieser Schwule mit den Stimmen der PDS wählen lassen. Die Abwahl eines demokratisch gewählten Stadtoberhauptes mit Hilfe der Nachfolgepartei der SED ist politisch immer noch brisant, aber jetzt selbst in der Mauerstadt Berlin nur noch von nachrangigem Interesse. Der Versuch der Union, Wowereits Inthronisation auf den Jahrestag des 17. Juni 53 zu tricksen, mutet in diesem Zusammenhang eher hilflos an. Auch ist der Traum der Union geplatzt, der bisher eher unbekannte Wowereit würde zwischen möglichen Promi-Kandidaten wie Schäuble und Gysi marginalisiert werden. Seit Sonntag ist Wowereit nicht mehr unbekannt: Er ist jetzt Deutschlands erster bekennender homosexueller Spitzenpolitiker.

Mit seinem Coming-out hat Wowereit nicht zum ersten Mal Geschick in Sachen Timing bewiesen. Klaus Landowsky ist nach seinem Zeitplan zurückgetreten, der Bruch der großen Koalition folgte seiner Regie. Gestern stimmte die Union raschen Neuwahlen zu – wie Wowereit sie wünscht. Die CDU ist noch kopflos, während er schon bald zum Bürgermeister gewählt wird. Eberhard Diepgen hat allen Grund, in diesen Tagen wie ein Getriebener auszusehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen