piwik no script img

orte mit basketballHENNING HARNISCH über Korbsport in Weißenfels

Brachland mit American Grill

Sven schnippt seine Marlboro Medium aus dem Fahrerfenster, deutet nach rechts in die Ferne, wo sich das satte Abendrot mit hellen Lichtern mischt, und sagt: „Das ist Leuna, das Chemiewerk. Gleich kommt die Ausfahrt Weißenfels.“ Sven Meyer, 2,10 m, ist Spielervermittler und beruflich unterwegs. Sechs seiner Profis verdienen ihr Geld seit dieser Saison beim MBC, beim Mitteldeutschen Basketballclub. Sven ist der einzige Spielervermittler in Deutschland, der, wie er sagt, eine Website und ein Büro hat. Die letzten zwei Stunden im Auto hat er mir alles erzählt. Sven, der früher wahlweise „Jojo-Meyer“, „Schlangen-Meyer“ oder kurz „Hotte“ gerufen wurde, weiß, wovon er redet, denn in Weißenfels hat er, der ein guter Bundesligaspieler zu seiner Zeit war, die letzten zwei Jahre gespielt und 1998 dort seine Karriere beendet.

Kurz vor der Ausfahrt schult er mich noch schnell in Sachen Stadtpolitik. Er zeigt nach links, „siehst du hier, grüne Wiese, das gehört zur Gemeinde Zeitz, und hier“ – er deutet nach rechts – „das Brachland, das ist Weißenfels.“ Ich verstehe seine kategorisierenden Fingerzeige, wenn auch nur auf einem abstrakten ökonomischen Level. Sven hat mir alles erzählt, alles über Weißenfels und den Basketballverein; Sven kann gut erzählen. Fakten über einen Ort in Sachsen-Anhalt, über Arbeitslosigkeit (weit über 20 Prozent), über Abwanderung (5.000 Menschen sind die letzten Jahre weggezogen, 31.000 geblieben) folgen Geschichten über den Präsidenten des Vereins – „der hat sich am ersten Tag nach der Wiedervereinigung hingesetzt und sich gefragt, okay, was jetzt, was brauchen die Leute. Am nächsten Tag war sein Hof voll mit Hämmern, Nägeln und Baumaterial.“

Weißenfels ist einer der wenigen Orte des Ostens, in dem schon zu DDR-Zeiten Basketball gespielt wurde. Sven skizziert den Weg von Weißenfels, dem Basketballverein. Würden beim Erzählen nur die üblichen Profilneurosen eines Kleinstadtvereins zum Vorschein kommen, hätte man sein Anliegen nicht verstanden, Sven fasst zusammen: „Die Menschen hier sind sehr nett, super herzlich.“

Wir fahren in die Stadt hinein, die keinen schlechten Eindruck macht, und checken mit Blick auf das Schloss ein, in der „Backstube“, dem menschlichen Zentrum von Svens Geschichten. Sven, der Wirt und Bäcker, Sven, der Freund von Sven, vermietet auch Fremdenzimmer.

Drei Stunden später, einmal zu Fuß zur neu erbauten Stadthalle in zehn Minuten durch die leere Stadt und zurück, sitzen wir mit Sven, dem Wirt, und seiner Freundin Martina am ansonsten verwaisten Tresen und würfeln. Johnny Cash läuft. 3.000 Zuschauer sahen zuvor das Spiel des Mitteldeutschen BC gegen den Vorjahresfinalisten RheinEnergy Cologne. Die Veranstaltung lief vorhersehbar ab, die Basketball-Bundesliga fordert für alle Teams Standards: Es gab gute Sicht für alle Zuschauer und einen lauten Hallensprecher. Es gab Beats in jeder Pause und Cheerleader mit Niveau. Es gab Stimmung. Es gab das ganze Programm. Und der MBC spielte dafür, dass vom Trainer elf Spieler in den Zwölferkader integriert werden müssen, sehr ordentlich. Das registrierten auch die Zuschauer, die – trotz Niederlage – ihr Team sehr freundlich verabschiedeten. Der Präsident schüttelte direkt nach dem Spiel die Hände aller seiner Spieler.

Letzte Saison, als der Verein auf der grünen Wiese des Nachbarortes Spergau spielte, ist der MBC sportlich abgestiegen. Nun ist man – eine Lizenz war zu vergeben – trotzdem zurück. Ein neuer Sponsor ist dabei, der Etat wurde auf eine Million Euro aufgestockt; damit könnten die Play-offs geschafft werden. Die Gehälter werden pünktlich bezahlt. Vielleicht spielt der MBC nächstes Jahr in Leipzig, in der Arena, mal sehen.

Ich frage in die Runde, was die Leute hier eigentlich nach dem Spiel machen. „Die gehen nach Hause“, sagt Sven, der Wirt. Ich gucke den anderen Sven an. „Weißt du, das ist eine neue Generation Spieler, die haben Frau und Kind. Das ist nicht mehr so wie früher, die gehen nach Hause. Und dann kommen auch nicht mehr die Leute.“ Wir sitzen definitiv tief in der Vergangenheit, hier. Die Tür geht auf, Sebastian „Sepp“ Machowski tritt ein. Sepp, ein ehemaliger Nationalspieler, hat beim MBC für die nächsten drei Jahre unterschrieben. Er ist mit Frau und Kind nach Weißenfels gekommen. Sepp war die letzten Jahre viel unterwegs, auch im Ausland. Jetzt ist er hier, um ihn herum soll die neue Mannschaft gebaut werden. Er ist zum ersten Mal in der „Backstube“. Martina fragt Sepp, in welchen Kindergarten seine Tochter gehen würde. Derweil serviert Sven uns erstklassige polnische Brühwürste. Ich frage ihn, warum sich die Imbissbude vor der Basketball-Halle American Grill nennt, wenn dort doch Thüringer Rostbratwürste verkauft werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen