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orte des wissensDer Arktis neues, eisfreies Gesicht

Rund um den Pol geht es derzeit heiß her. Das Deutsche Arktisbüro des Alfred-Wegener-Instituts hilft, die Region und ihre Herausforderungen zu verstehen. Die wachsen, weil das Eis schrumpft

Wer von der deutsch-dänischen Grenze bis hinauf zum Nordpolarkreis fährt, ist Tage unterwegs. Bis tiefer hinein in die Arktis, bis Svalbard, Grönland oder Nunavut in Nordkanada ist es eine halbe Weltreise. Dass es ein Deutsches Arktisbüro gibt, kann also auf den ersten Blick verwundern. Aber seit Kapitän Carl Koldewey 1868 auf dem Ex-Robbenfangsegler „Grönland“ zur ersten deutschen Nordpolar-Expedition aufbrach, und im Jahr darauf, diesmal mit einer kleinen Flotte, bereits zu seiner zweiten, ist Deutschland ein wichtiger Akteur in der Arktisforschung.

Im Jahr 2017 gegründet, ist das Deutsche Arktisbüro nicht in Bremerhaven angesiedelt, am Hauptsitz seines Betreibers, des ­Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), sondern in Potsdam. Auch das kann verwundern. Aber Potsdam ist fast Berlin. Und da das Büro, entstanden nicht zuletzt auf Initiative des Auswärtigen Amts (AA), vornehmlich als Berater der Bundespolitik arbeitet, sind kurze Wege zu ­ministeriellen Entschei­dern von Vorteil.

Das AA vertritt Deutschland im Arctic Council, dem Forum der Arktis-Anrainerstaaten, in dem Deutschland Beobachterstatus hat. Seine Expertise entstammt dabei wesentlich dem Deutschen Arktisbüro, das in den „Leitlinien deutscher Arktispolitik. Deutschland und die Arktis im Kontext von Klimawandel und Zeitenwende“ des AA vom Herbst 2024 denn auch prominent Erwähnung findet.

„Die Bedeutung der Arktis für Deutschland hat in den letzten Jahren weiter zugenommen“, heißt es in diesen Leitlinien. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe „das sicherheitspolitische Umfeld für das deutsche Engagement in der Arktis nachhaltig verändert“.

„Die Gewichtung hat sich stark geändert“, sagt Geochemiker Volker Rachold, der Leiter des Deutschen Arktisbüros. „2013, in den ersten Leitlinien, ging es primär um Bodenschätze, 2019 um Ökologisches, heute um Sicherheit.“ Unverändert ein Schwerpunkt: die Wahrung der Rechte der indigenen Bevölkerung.

Solche Expertise ist mehr denn je gefragt, denn durch die Klimakrise wandelt die Arktis entscheidend ihr Gesicht. Die frühere Eiswüste wird zugänglicher. Dadurch nehmen die Begehr­lichkeiten etwa beim Bodenschatzabbau zu. Es gibt neue militärische Machtprojektionen, neue Seerouten, neue Fang­gründe. Auf diese Herausforderungen und Konfliktfelder braucht die Politik Antworten. Das Arktisbüro beschafft das Hintergrundwissen dafür, bereitet es auf – unabhängig, wie Rachold betont, wissenschaftlich-neutral. „Natürlich wissen wir nicht alles selber“, sagt er. „Aber auf jeden Fall kennen wir jemanden, der es weiß.“ Es geht also um Kommunikation, um Vernetzung.

„In den ersten Leitlinien, 2013, ging es primär um Bodenschätze, 2019 um Ökologisches, heute um Sicherheit“

Volker Rachold, Leiter des Arktisbüros

Rachold kennt die Arktis von vielen Expeditionen und Reisen. Und was sein kleines Team, nur vier Mitarbeitende stark, auf die Beine stellt, ist eindrucksvoll. Es richtet halbjährlich den „Arktisdialog“ aus, ein Treffen der deutschen Arktisforschung. Die Kooperation mit den Botschaften der Länder der Arktisregion ist eng, mit den deutschen Botschaften in diesen Ländern. Es erstellt Fact Sheets zu Themen wie Schifffahrt, Governance und Tourismus, berät die Wirtschaft.

Die Arktis nehme eine „dramatische Entwicklung“, sagt Volker Rachold. Ihre Temperatur ist in den letzten Jahrzehnten fast viermal so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt. Nicht mehr lange, und es könnte den ersten Sommer ohne Meereis geben. Einer der jüngsten Risikofaktoren: Donald Trumps Interesse an Grönland. Zumindest hat der Arktische Rat seine Arbeit wieder aufgenommen; nach Russlands Angriff auf die Ukraine hatte er sie eingestellt. Harff-Peter Schönher

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