orte des wissens: Wo der Wal hängt
Im Zoologischen Museum Kiel wird geforscht, gesammelt und gelehrt. Dieses Jahr feiert das einzige Museum, das noch zu einer Universität gehört, seinen 250. Geburtstag
Im lichtdurchfluteten zentralen Saal des Hauses schweben Walskelette unter der Glasdecke – für die meisten Besucher:innen vermutlich der Höhepunkt ihres Rundgangs durch das Zoologische Museum der Kieler Christian-Albrecht-Universität (CAU). Doch es gibt in den Vitrinen weit mehr zu entdecken, darunter Einblicke in 250 Jahre Forschung und Antworten auf Fragen zum Klimawandel.
Das Museum steht unweit der Förde am Rand des Universitätsklinikums. Schon das Gebäude selbst ist eine Besonderheit: Der Berliner Architekt Martin Gropius (1824–1880) entwarf den Bau aus gelben und roten Ziegeln, der 1881 eröffnet wurde. Er gilt heute als einer der wenigen weitgehend originalen Gropius-Bauten. Auch das Innere mit dem hohen Ausstellungsraum und den Wandelgängen ringsum ist erhalten geblieben. Doch die Sammlung reicht noch weiter zurück.
Bereits im 17. Jahrhundert gründete ein damaliger Kieler Medizinprofessor ein erstes naturkundliches Museum. Aber die Sammlung wurde verkauft, sodass als Gründer des heutigen Museums der Insektenforscher Johann Christian Fabricius (1745–1808) gilt, der selbst Forschungsreisen unternahm und seit 1775 Exponate ausstellte. Einen weiteren Schub bekam das Museum unter dem Zoologen Karl August Möbius (1825–1908).
Fast alle Universitäten betrieben früher Museen – doch dass eines bis heute Bestand hat, sei eine Besonderheit, sagt Museumsleiter und Zoologie-Professor Dirk Brandis: „Die meisten wurden abgewickelt oder in andere Einrichtungen überführt.“ Das Kieler Museum ist dagegen weiter Teil der CAU, „mit allen Aufgaben der Universität“, betont Brandis. Das bedeutet neben dem Erhalt der historischen Exponate und dem Angebot für Besucher:innen vor allem Lehren, Forschen und Sammeln.
Doktoranden, Master- und Bachelor-Studierende aus den unterschiedlichsten Bereichen arbeiten im Museum, aktuell ist auch eine angehende Museumspädagogin darunter: „Sie untersucht, ob neue Techniken wie virtuelle Realität einen pädagogischen Mehrwert haben“, sagt Brandis.
Vor allem aber nutzen Forschende die Archive und Sammlungen. Welche Tiere sich in der Kieler Förde tummeln und welche neuen Arten sich ausbreiten, wird seit 1850 festgehalten. Heute lässt sich aus den Aufzeichnungen und den konservierten Fischen oder Muscheln der Klimawandel ablesen: „Wir sehen, in welchem Monat sie geschlechtsreif wurden, und können daraus Wassertemperaturen ableiten“, nennt Brandis ein Beispiel. Aus Knochen ließen sich ebenfalls Umweltdaten ablesen.
Die Sammlungen, die „Archive des Lebens“, seien das Herzstück des Museums, sagt der Direktor. „Aber kaum jemand weiß, was sich dahinter verbirgt und wie konserviert wird.“ Daher stehen in einem Raum des Hauses altmodische Gläser mit handbeschriebenen Zetteln in Vitrinen, indirekt beleuchtet wie Edelsteine in einer Schatzkammer. In wöchentlichen Abendführungen stellen Brandis und sein Team Besucher:innen jeweils einen Gegenstand aus den Archiven ausführlich vor.
Um die Vielfalt des Lebens buchstäblich be-greifbar zu machen, birgt ein weiterer Raum eine Sammlung aus Zähnen, darunter ein Hai-Gebiss und der lange Stoßzahn eines Narwals. Blinde und Sehbehinderte können die Zähne ertasten und sich an kleinen Modellen ein Bild des ganzen Tieres machen. „Wir wollen das Museum inklusiv machen“, sagt Brandis. An Zähnen ließe sich vieles zeigen, zudem seien sie so haltbar, dass Originale ausgestellt werden können.
Im laufenden Jubiläumsjahr finden zahlreiche Veranstaltungen statt, darunter Vorträge und Konzerte. Eine große Ausstellung rund um die Evolution von Vögeln ist in Planung, wird wahrscheinlich aber erst 2026 eröffnet. Doch zum Festakt am 16. Oktober 2025 soll ein neues Ausstellungsstück enthüllt werden, verrät Brandis. Esther Geißlinger
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