orte des wissens: Das Wertvollste liegt unterm Dach
Die Klosterbibliothek Loccum nutzen nicht nur angehende Prediger:innen. Sie birgt auch für Laien Preziosen wie Bibeln und Kräuterheilkunden des 15. Jahrhunderts
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Nimm und lies! Dieser Ruf aus den Bekenntnissendes Augustinus lockt die Eintretenden am Infotresen der Klosterbibliothek Loccum. Mit sechs Büchern begann 1163 die Geschichte des niedersächsischen Zisterzienserklosters und der Bibliothek. Wie Bibliothekar Jörg Fiedler erläutert, wuchsen die Buchbestände langsam, da die Mönche vorrangig Landwirtschaft betrieben.
Nachdem das Kloster 1593 evangelisch geworden war und keine Mönche mehr aufnahm, dient es nun seit 1820 als Predigerseminar. Mit der Ausbildung angehender Pastor:innen ging eine allmähliche Zunahme der Bücher einher, sodass selbst entlang der Flure Regale standen. Ein Bibliotheksneubau wurde dringend notwendig, zumal die Landeskirche Hannover aus Spargründen die Bestände in Hildesheim und Celle mit denen in Loccum abglich und zusammenführte.
Der zwischen 2017 und 2022 errichtete Neubau glückte, da er sehr geschickt mit dem mittelalterlichen Klostergebäude verbunden ist, und führt die etwa 120.000 Bücher erstmals auf drei Etagen zusammen. Wer die theologische Spezialbibliothek besucht, versteht, warum sie 2024 als „Bibliothek des Jahres“ ausgezeichnet wurde.
Das Kalefaktorium, wo jetzt Freihand-Regale aus massivem Eichenholz stehen, war die Keimzelle der Bibliothek, so Fiedler: „Hier befand sich die Druckwerkstatt des Klosters, hier entstanden 1258 die ersten Bücher – weil der Raum beheizbar war.“ Mit klammen Fingern lässt sich eben schlecht drucken.
Die Freihand-Bibliothek erstreckt sich auch aufs benachbarte Erdgeschoss mit Bänden zu Geschichte, Soziologie und Psychologie, ein Erbe der 1968er-Bewegung. Die Neuerer jener Zeit sprengten allerdings nicht nur die Fachgrenzen: Sie stellten auch ein Auto in die Stiftskirche – als Götzen der Gegenwart. Das erste Geschoss wiederum versammelt Bücher zur Praktischen, Systematischen wie zur Allgemeinen Theologie und zur Pädagogik sowie Examensarbeiten und Examenspredigten der angehenden Pfarrer:innen.
Das Kostbarste aber lagert unterm Dach des ehemaligen Klosters. „Je höher wir kommen, desto wertvoller werden die Bestände“, sagt Jörg Fiedler. Das Magazin II birgt die 59 Inkunabeln, 21 Handschriften und den umfangreichen Altbestand aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Ob die „Kölner Bilderbibel“, ein früher Druck von 1478 oder eine wunderbar illustrierte Kräuterheilkunde von 1545 – diese Werke können nur unter Aufsicht eingesehen werden.
Predigerseminare aus fünf Landeskirchen senden ihre angehenden Pfarrer:innen hierher, die sich auf das zweite Theologische Examen vorbereiten und ihre Abschlusspredigt erarbeiten. Die Vikar:innen sind die Hauptnutzer:innen der Bibliothek und haben jederzeit Zugang.
Interessierten Laien steht die Bibliothek immer dienstags oder nach Vereinbarung offen. Zwanzig Leseplätze ermöglichen konzentrierte Lektüre – Blicke auf Kloster und Priorgarten inklusive. Jörg Fiedler bekommt Anfragen aus ganz Europa und darüber hinaus: „Die Bibliothek ist weithin bekannt.“ Und sie ist auf Zukunft konzipiert. „Wir können hier noch zehn Jahre Bücher unterbringen, dafür ist Regalplatz frei. Aber es ist fraglich, ob sich das angesichts digitalen Publizierens wie gewohnt entwickeln wird.“
Auch die Studierendenzahlen der Evangelischen und Katholischen Religionslehre gehen dramatisch zurück. Umso wichtiger scheint die Klosterbibliothek Loccum für unsere „Gesellschaft ohne Gott“. Frauke Hamann
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