orte des wissens: Flaschen für die Forschung
Die Hamburger Seewarte ließ von 1864 bis 1933 Tausende Flaschen ins Meer werfen, um anhand der Rücksendungen Meeresströmungen zu erforschen. Daraus wurde eine riesige Flaschenpost-Sammlung
Bei einer Flaschenpost denkt Bibliothekarin Martina Plettendorff nicht an See-Abenteuer, Hilferufe von Schiffbrüchigen und Urlaubsgrüße, sondern an Bücher. In fünf Bänden stecken 662 historische Flaschenpostbriefe, die im Hamburger Archiv des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie verwahrt werden. „Es ist die größte wissenschaftliche Flaschenpost-Sammlung der Welt“, sagt Bibliotheksleiterin Plettendorff.
Initiator war Georg von Neumayer (1826–1909), Leiter und Gründer der Norddeutschen Seewarte. Vor 160 Jahren startete er sein globales Flaschenpost-Experiment. Die ersten Flaschen ließ er 1864 von Handelsschiffen weltweit über Bord werfen, um Meeresströmungen zu erforschen. Meist waren es leergetrunkene Flaschen der Seeleute. In ihnen steckte ein Zettel mit einer Anleitung, in der der Finder gebeten wurde, den Fundort an die Seewarte zu melden. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden Tausende Flaschen in die Weltmeere geworfen.
„So ein geografisch umfassendes Experiment hatte es zuvor noch nie gegeben“, erklärt die Bibliothekarin. Die Zettel, die einst in Flaschen im Meer schwammen, entstanden zwischen 1864 und 1933, und fast hätte Neumayer sein Experiment bald für gescheitert erklärt. „In den ersten drei Jahren wurde nicht ein einziges Flaschenpost-Formular zurückgeschickt“, erzählt Plettendorff. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Flaschenpost irgendwo heil ankommt und gefunden wird, liegt Experten zufolge bei acht bis zehn Prozent.
Doch die Geduld des Seewarten-Chefs zahlte sich aus: Hunderte Flaschenpost-Briefe kamen mit der Zeit in Hamburg an. Anhand der Rücksendungen konnten Forscher die Wege nachvollziehen – und dann auf Seekarten die Meeresströmungen einzeichnen. „Ziel des Experiments war es, die Strömungen besser zu verstehen und mit diesen Informationen die Seefahrt sicherer und schneller zu machen“, erklärt Plettendorff.
Die älteste Flaschenpost der Sammlung wurde am 14. 7. 1864 vom Schiff „Norfolk“ bei Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas über Bord geworfen, drei Jahre später fand sie jemand an der australischen Küste bei Portland. Das am längsten gereiste Dokument entdeckte eine Spaziergängerin am 21. 1. 2018 an der Küste von West-Australien: Die Flaschenpost war mehr als 131 Jahre alt. 1886 hatten Seeleute sie von Bord eines Hamburger Schiffes ins Meer geworfen. Es wird vielleicht nicht die letzte sein, hofft Plettendorff. „Es könnte irgendwann doch noch eine Flaschenpost von damals freigespült werden.“
Dabei haben in der Vergangenheit nicht nur Flaschen bei der Erforschung von Meeresströmungen geholfen. Plastikenten können das auch. 1992 gingen knapp 30.000 Badetiere im tropischen Pazifik bei einem Sturm über Bord eines Containerschiffes. Seitdem wurden sie an den Küsten des Pazifiks und Atlantiks gefunden. Zwei Drittel der Enten sind nach Süden getrieben, an die Küsten Australiens, Indonesiens und Südamerikas. Plettendorff: „Das restliche Drittel driftete nach Norden, durch die Beringstraße und mit dem Arktis-Eis in den Nordatlantik. Noch 15 Jahre später wurden die Badetiere an den Küsten Englands entdeckt.“
Auch heute wird das Flaschenpost-Prinzip für die Forschung genutzt: Anstelle leergetrunkener Gin-Flaschen der Seeleute treiben jetzt autonome, mit Technik vollgestopfte Bojen im Meer. Seit dem Jahr 2000 läuft das internationale Argo-Forschungsprojekt, an dem 30 Nationen und auch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie beteiligt sind. Fast 4.000 sogenannte Argo-Floats übermitteln Informationen zu Salzgehalt, Temperatur, Strömungen und Wasserdichte. (epd)
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