orte des wissens: Was Versicherer wissen wollen
Das Goslar-Institut lässt Big Data erforschen. Nicht zuletzt, um den Autokonzernen die Infos über Fahrende zu entringen
Mehr als Neugier strukturieren Interessen unsere Erkenntnisse und unser Wissen. Zum Beispiel Geschäftsinteressen. Das Goslar-Institut (GI) macht keinen Hehl daraus, selbst eine Initiative des Versicherungskonzerns Huk-Coburg zu sein. Vor 15 Jahren hat der die „Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern“ in Braunschweig als gemeinnützigen Verein ins Register eintragen lassen, die das GI nun trägt. Weder Verein noch Institut haben eigene Räumlichkeiten. Sie führen also ein eher virtuelles Dasein. Sie materialisieren sich aber in Publikationen. Und ganz leibhaftig in den Raum tritt das unter ihrer Signatur gesammelte und erzeugte Wissen als Podiumsdiskussion im Rahmen des Verkehrsgerichtstags. Diese periodische Veranstaltung nennt sich „Goslar Diskurs“. Denn das GI hat all sein Tun und Trachten „propädeutischen Fragen des Versicherungswesens“ gewidmet.
Dass die Selbstdarstellung etwas gestelzt akademisch klingt, soll vermutlich so: Man versteht sich weder als ausgelagerte Forschungsabteilung des Konzerns noch will man als Deluxe-PR-Stelle wahrgenommen werden. Selbst die Pressemitteilungen heißen hier nicht Pressemitteilungen, sondern „Recherche-Tipps“, wie der Gründer der Studiengesellschaft, Kommunikationsmanager Klaus Kocks, betont: Es werden Kurzmitteilungen mit einem Erklärtext und einer Vorauswahl an seriösen, durchaus auch kontroversen Quellen zu versicherungswirtschaftlich relevanten Themen online gestellt, um bei Journalist*innen und Publikum das Interesse zu wecken, das der Konzern schon hat. Für die wissenschaftlichen Studien, die das Goslar-Institut herausgibt, erteile man nach Ausschreibung „Aufträge an die renommierten versicherungswissenschaftlichen Institute“ so Kocks. „Das geht nach dem Prinzip der öffentlichen Vergabe“, also in einem verrechtlichten, transparenten Verfahren. Entsprechend unabhängig seien die Forscher*innen auch.
Das erfordert auch eine gewisse Weite der Aufgabenstellung – was am besten dort gelingt, wo das Interesse der Versicherungslobby und der Verbraucher*innen konvergieren. Anfangs hat das nicht so gut geklappt: So war 2009 beim ersten „Goslar Diskurs“ suggestiv gefragt worden, ob „Hinterhof oder High-End“ den besseren KfZ-Mechaniker-Service garantiert. Klar, ein zu kumpeliges Verhältnis zwischen Werkstatt und Kunden betrachten Versicherer mit Argwohn. Aber im Interesse der Verbraucher liegt es nicht, das Prinzip der freien Autoschrauberwahl einzuschränken.
Wirklich interessant hingegen sind die seit 2013 durch zahlreiche Untersuchungen zutage geförderten Einsichten und Prognosen über die Auswirkungen von Big Data auf alle Bereiche des Alltags – allen voran die Mobiliät. „Ein moderner PKW sammelt permanent Vitaldaten des Fahrers“, so Kocks. „Bis zu unseren Studien haben die Autokonzerne diese Daten als ihr Eigentum betrachtet.“ Diese Selbstverständlichkeit hat die vom GI beauftragte Forschung infrage gestellt, die Nutzen und Potenziale von Big Data als erheblich einstuft. Zum Beispiel weil Autos so viel sicherer werden, dass das Geschäftsmodell der Branche wegbricht: „Eine Neuausrichtung ist für die Versicherer daher unumgänglich“, bilanziert die große 2020 als Buch erschienene Studie „Die Big-Data-Debatte“.
Klaus Kocks, Professor für Unternehmenskommunikation, Goslar-Institut
Die Versicherer teilen also mit ihrer Kundschaft ein dringendes Interesse an Datenschutz. Es geht darum, Fahrdaten dem monopolisierenden Zugriff der Autohersteller zu entwinden. Dafür liefert allein die Person Elon Musk schon Argumente genug. Umgekehrt kann erst, wer die Kontrolle über die eigene digitale Reifenspur hat, sie auch selbst dem Markt zur Verfügung stellen. Und nur dann haben die Versicherer die Chance, sich mit Big Data neu zu erfinden. Die GI-Forschung legt ihnen nahe, die Rolle eines Mobilitätsdatenwächters anzupeilen. Benno Schirrmeister
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