orte des wissens: Ein Raum für Begegnungen zwischen Büchern
Die Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig in Flensburg ist mehr als eine Büchersammlung. Denn das Verständnis von Bibliothek ist anders und vielfältiger als in Deutschland gewohnt
Die Norderstraße ist schmal und mit Kopfsteinen gepflastert, der Stadthafen an der Förde liegt nur eine Häuserreihe entfernt. Hier, nur wenige Schritte von Flensburgs Einkaufs- und Flaniermeile entfernt, befindet sich das Zentrum der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein: Der Kulturverein Sydslesvigsk Forening und der Landesverband der Minderheitenpartei SSW teilen sich ein Gebäude. Ein paar Häuser weiter hat Stefan Seidler, der einzige Bundestagsabgeordnete des SSW, sein Büro. Gegenüber liegen das Lykke-Café, in dem auf Dänisch wie auf Deutsch bestellt werden kann, und das Kulturzentrum Aktivitetshuset. Dazwischen erhebt sich die graue Fassade der Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig.
Wer die Bibliothek betritt, „kriegt eine Überraschung, wie groß alles ist“, sagt Bibliothekschef Jens M. Henriksen, dem anzuhören ist, dass er Deutsch nicht als Muttersprache spricht. Das Gebäude birgt nicht nur große Lesesäle, sondern auch Räume für Kunstausstellungen und Veranstaltungen, für Dänischkurse und für Forschung.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt ist die Geschichte des Landesteils Schleswig. Diese „Schleswigsche Sammlung“, deren älteste Bestände bis ins Jahr 1500 zurückgehen, bildet mit 50.000 Medien eine Bibliothek in der Bibliothek. „Wir sagen immer: ‚Wir haben zu Schleswig alles, was es gibt‘“, sagt Henriksen.
Privatleute können in einem Digital-Archiv mit Zugriff auf rund 100.000 Kirchenbücher Ahnenforschung betreiben. Ein ganzes Team von Historiker*innen ist bei der Bibliothek beschäftigt, die sich mit der Geschichte und heutigen Themen der Minderheit befassen. Henriksen nennt Fragen der Identität oder die politische Zusammenarbeit mit der Mehrheitsgesellschaft.
Sein Haus sei also weit mehr als eine Büchersammlung, betont der Bibliotheksleiter. Denn das Verständnis von Bibliothek sei anders und vielfältiger als in Deutschland: „Es ist ein Ort der Begegnungen.“
Bezahlt wird die Flensburger Einrichtung, die von einem Verein getragen wird, zum größten Teil vom dänischen Staat. Weitere Fördermittel stammen vom Land Schleswig-Holstein sowie den Kommunen, die zum Einzugsbereich der Bibliothek gehören. Ein ähnliches Modell gilt jenseits der Grenze auch für die deutsche Minderheit: Der Verband Deutscher Büchereien Nordschleswig unterhält eine Zentralbücherei in Apenrade, zwei Dutzend kleinere Einrichtungen und ein Bücherbus-System im südlichen Dänemark.
In erster Linie richtet sich die Dänische Bibliothek an die Minderheit, zu der rund 50.000 Menschen in Schleswig-Holstein zählen. Die lesen gern und viel, berichtet Henriksen: Krimis, Liebesromane, Kochbücher, Zeitschriften. „Vor zehn Jahren haben alle gesagt, es wird elektronisch, wer will noch Bücher? Aber wir erleben, dass die Freude am Buch bleibt, die Leute wollen es physisch ausleihen.“
Dazu besteht nicht nur in Flensburg die Chance, sondern auch in kleineren Bücherhallen in Husum und Schleswig. Andere Orte werden mit Bücherbussen angefahren. In Eckernförde betreibt die Bibliothek eine Bücherei in der dortigen dänischen Schule.
Die zweite Aufgabe bestehe im kulturellen Austausch und in der Werbung für dänische Literatur. „Wir sind offen für alle“, betont Henriksen. Die Bibliothek bietet Dänisch-Kurse, Lesungen und Konzerte. Darüber hinaus wirbt sie für Autor*innen, die in Deutschland kaum bekannt sind. So wird im Januar an die am Neujahrstag verstorbene Lise Nørgaard erinnert: Die 1917 geborene Kopenhagenerin war Journalistin, schrieb Drehbücher und Romane.
Auf die Frage, welchen Lesetipp er den Deutschen geben könne, denkt Henriksen kurz nach. Dann sagt er: „Hans Christian Andersen.“Esther Geißlinger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen