piwik no script img

orte des wissensBraunschweig hat für alle Zeit

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt legt für Deutschland fest, was die Stunde geschlagen hat

Und was passiert bei der Zeitumstellung? „Nichts“, sagt der PTB-Sprecher

Von Lisa Bullerdiek

Es gibt nicht nur Uhrmacher, sondern auch Zeitmacher. Sie sitzen in Braunschweig in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Dort produziert eine Atomuhr die Uhrzeit für alle Funkuhren in Deutschland. Und von dort wird selbstverständlich auch die Zeitumstellung synchronisiert. In der PTB schaffen Na­tur­wis­sen­schaft­le­r*in­nen außerdem bundesweit den Standard für alle Maßeinheiten. Zentimeter, Kilogramm, Nanogramm – wie lang oder wie viel oder wie schwer das ist, wird in der Bundesanstalt festgelegt. Trotzdem kennt außerhalb von Braunschweig kaum jemand die PTB.

Die rund 2.100 Mit­ar­bei­te­r*in­nen der staatlich finanzierten PTB beschäftigen sich mit Metrologie, nicht zu verwechseln mit Meteorologie. Warum Messen so wichtig ist, dass dafür sogar der Staat in die Taschen greift, kann Pressesprecher Jens Simon erklären. „Wir sind zum Beispiel wichtig für die deutsche Wirtschaft“, sagt er. „Wenn ein Unternehmen winzige Chips für Computer produziert, müssen sie auf den letzten Nanometer messen können. Wir sagen den Unternehmen, wie groß ein Nanometer überhaupt ist.“

Metrologische Institute gibt es fast überall: In Frankreich das Laboratoire national de métrologie et d’essais, in den USA das National Institute of Standards and Technology und in London sitzt das National Physical Laboratory, das für England die Maßeinheiten standardisiert. Die PTB ist das größte seiner Art in Europa. Die verschiedenen Institute arbeiten auch zusammen: So ging 2019 ein Projekt zu Ende, bei dem neue Standards für alle Grundmaße festgelegt wurden, zum Beispiel für das Kilogramm. Ursprünglich gab es als Standard für Kilogramm ein Urkilogramm. Jedes Land bekam davon als Kopie einen kleinen Platin­klotz – zwischendurch hatte sogar Bayern ein eigenes Urkilo. Mit der Zeit fanden Wis­sen­schaft­le­r*in­nen heraus, dass die Klötze an Gewicht verloren. Ersatz musste her.

Gegründet hatte Hermann von Hemholtz die PTB – allerdings als Reichsanstalt: Das war 1878 und damals war Berlin der Standort. Helmholtz war selbst Physiker und Arzt und Physiologe. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Institut stark zerstört. Für die BRD wurde die neue PTB in Braunschweig gebaut. Seit der Wende arbeiten wieder etwa 500 Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Berlin auf dem alten Gelände in Charlottenburg.

Die Atomuhr steht aber in Braunschweig, und dass sie eine Uhr ist, muss man wissen, um es zu erkennen: Sie wirkt eher wie eine Mischung aus Fliewatüüt und Industrieofen, in der Mitte eine Art blauer Schrank, an den Seiten zwei kurze Metallröhren, die an Segel­ohren erinnern. Aber wie funktioniert sie? „Wenn sie eine Uhr bauen wollen, brauchen sie einen periodischen Vorgang und dann müssen sie die Perioden zählen“, sagt Jens Simon. Bei einer Pendeluhr werden einfach die Pendelschläge gezählt.

Bei einer Atomuhr übernehmen Elektronen, die in festen Bahnen um einen Atomkern kreisen, die Aufgabe des Pendels. Unter bestimmter Strahlung hüpfen sie allerdings herum und das Atom gerät in einen erregten Zustand. In einer Atomuhr werden Cäsiumatome mit Mikrowellen beschossen, bis sie alle erregt sind. Wenn das passiert, hat die Mikrowellenstrahlung die richtige Frequenz. Jetzt muss die Uhr nur zählen, wie viele Schwingungen, Perioden genannt, die Mikrowellenstrahlung hat. Eine Sekunde sind 9 192 631 770 Schwingungen der Strahlung, also ein Pendelschlag.

Die Atomuhr zählt die Sekunden. Die Uhr in Braunschweig macht daraus ein Zeittelegramm, wie es in der PTB genannt wird. Die Information wird nach Frankfurt geschickt und von da können alle Funkuhren über einen Langwellensender die genaue Uhrzeit empfangen.

Und was passiert bei der Zeitumstellung? „Nichts“, sagt Jens Simon. Die Uhren ändern bloß ein Bit ihres Zeittelegramms, also die Stunde. “

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen