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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über die Studentenstreiks

Wehret den Anfängern!

„Ich hatte Depressionen, Arbeitsstörungen, Kontaktschwierigkeiten, war einfach kaputt – und dann plötzlich die Demonstrationen, die neuen Kontakte, die ganzen Aktivitäten; es war wie eine Befreiung“, so äußerte sich ein Student in einer Kursbuch-Studie über „Politisierung“ 1971. Und soeben sagte ein HUB-Dozent: „Großartig, zu sehen, wie sich die Studenten diese Universität jetzt erstmals aneignen.“ – Auch den öffentlichen Raum: mit Nonstopseminaren und Aktionen bis hin zu Protestbädern in der Spree.

So weit sind wir damals nicht gegangen – obwohl viele z. B. bei der „Schlacht am Tegeler Weg“ kurz davor waren, sich vor den Bullen durch einen Sprung in den (warmen) Fluss zu retten.

Noch etwas ist anders: Wie eine Ethnologin aus ihrer „Streik-Feldforschung“ berichtet, halten sich die politisierten Studis und Dozenten bei der Übernahme von Streikleitungsfunktionen zurück – um der Selbstorganisation willen. Die Ethnologin findet das jedoch auch fragwürdig, „denn dadurch dauern die ganzen Debatten über Streikposten und Aktionen endlos“. In der Vergangenheit waren die künftigen Intelligenzler immer die Ersten gewesen, die gegen staatliche Zwänge aufbegehrten – bis hin zum Platz des Himmlischen Friedens. Nur die westweltweite 68er-Bewegung scheint eine Ausnahme gewesen zu sein, indem es sich dabei zum ersten Mal um eine junge Generation handelte, die über erhebliche Kaufkraft verfügte – und dafür eine eigene „Kultur“ einforderte, die sie sich erst einmal erkämpfen musste. Rockmusik war damals z. B. noch weitgehend verboten – heute dudelt sie auf allen Kanälen und ist zu einer akustischen Umweltverschmutzung geworden. Deleuze/Guattari sprachen in diesem Zusammenhang vom „Energieteufel Kapitalismus“, der Kaufhof-Konzern sagte es so: „Wir machen aus Punk Prunk!“ Dabei bald nicht mehr mithalten zu können schürt nun erneut die Karriereängste unter den Studenten, von denen deshalb noch viele nur allzu streik- und kampfunwillig sind. 1971 ff. wurden die linken Antikarrieristen en masse durch 12 neue „Reformunis“, sich darin quasi selbst organisierend, reintegriert.

Nun wird dagegen der Karrierismus durch Amerikanisierung von oben geschürt: Sogar in der dumpfesten deutschen Stadt, in Frankfurt an der Oder, richtete die dortige Uni eine elitäre „School of Governance“ ein, wo das Semester 8.600 Dollar kostet. Man will damit nicht etwa die völlig desperate Lausitzer Jugend aufrichten, sondern im Gegenteil „Asiaten und Amerikaner“ anlocken. Verbockt haben diese asoziale Sauerei die Unitopmanagerin Schwan und ihr Stanford-Mann Weiler. In Stanford wurde einst das Uni-Ranking ausgedacht, das seit 1994 Spiegel und Focus auch für die deutschen Unis durchsetzen. Je höher es die Studenten zieht, desto mehr handelt es sich bei den Hochschulreifen um moralische Kretins. Den Gipfel an Verkommenheit bildet dabei die Eliteuni Harvard in Massachusetts aus: „les jeunes loupes“. Harvard ist für die allgemeine Herzensbildung ungefähr das, was Tschernobyl für die Umwelt darstellt: eine schwere Belastung. Dies hängt ebenfalls mit dem Ranking der US-Universitäten zusammen, das die Höhe der Studiengebühren bestimmt.

Mittlerweile gibt es wahrscheinlich weltweit keine erfolgreichen Mafiosi, Gangster, Waffenhändler, Rauschgiftschieber und korrupte Politiker mehr, die ihre Söhne und Töchter nicht nach Harvard schicken – um sie zu veredeln und zu verfeinern. Für diese sauberen Sprösslinge gibt es dort dann nur noch ein Verbrechen: das Kooperieren. Die „Competition“ wird in Harvard derart groß geschrieben, dass die Studenten untereinander nicht einmal andeuten mögen, an welcher „Thesis“ sie gerade arbeiten – aus Angst, man könnte ihnen ihre Ideen klauen. Was an deutschen Unis immer noch gefördert wird, die gegenseitige Hilfe und Gruppenarbeit, kann im asozialen Harvard sogar disziplinarische Folgen haben, wenn es auffliegt!

Mit anderen Worten: Der derzeitige Unistreik ist eine exzellente „School of Antigovernance“ – deswegen schritt auch am Donnerstag erstmals die Bullerei prügelnd ein: „Das geht zu weit!“ sagte der Einsatzleiter – und Recht hatte er. Andererseits verstärken die Polizeiknüppel aber auch und gerade die „Politisierung“, wie 1971 festgestellt wurde; die CDU/CSU beharrte damals jedoch darauf, dass sie „depolitisierend“ wirken.