normalzeit: HELMUT HÖGE über Händies
TELEFON-SEX UND -WAR
Wie eine Blitzrecherche der australischen Sängerin Cherry ergab, verhält sich der Abkauf von Mobiltelefonen umgekehrt proportional zum Verkaufsrückgang bei den Dildos. Die in Berlin-Mitte wohnende Komponistin befasst sich bereits in einem Lied mit dieser neuen Tendenz zur Fernbefriedigung. Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe sagte gerade – in seiner letzten Wahlkampf-Rede: „Und dass es mit den Computern und den Händies vorangeht – dafür werde ich mich einsetzen!“ Donnernder Applaus.
Schon gibt es ein erstes Euro-Arbeitslosennetz – das „D 2“ von Mannesmann/Vodafone. Und viele Jungmänner im Osten, die ständig am Ende der Fahnenstange ihres Dispokredits sind, melden sich in Massen freiwillig zur Bundeswehr, um sich auch weiterhin Auto und Händie leisten zu können. Dort geht jedoch das Elend weiter: Im Gegensatz zum US-Militär, wo jeder Rekrut, so oft und lange er will, kostenlos mit seiner Freundin telefonieren darf, explodieren die Händie-Kosten gerade während der Bundeswehrzeit. Einen Ausweg bietet allein der Friedenseinsatz im Kosovo. Dafür gibt es nach einem halben Jahr 30.000 Mark extra. Und damit ist das Konto wieder aufgefüllt.
Die Jungmänner im Westen – insbesondere Berlins – sind meistens Wehrdienstverweigerer. Aber auch sie treibt der weibliche Telefonterror (die Call-Centerisierung) in die Krise. So hat der auf das neue Insolvenzrecht spezialisierte Kreuzberger Anwalt Lüko Becker immer öfter Klienten, die an einer zu dicken Telefonrechnung scheiterten. Zuvor hatten in einem ABM-Projekt des Problembezirks bereits etliche allein erziehende türkische Mütter geklagt, dass ihre Söhne bis zu 2.500 Mark mit 0190-Nummern vertelefonierten. Zwar gönnten sie ihnen die sexuelle Neugier, aber die Kosten dafür überstiegen ihre Möglichkeiten. Die Klienten von Lüko kommen bereits mit detaillierten Rechnungen der Telefon-Sexfirmen an. Da steht dann „Leck mich!“ 2. 1., 22.45 Uhr bis 23.06 Uhr: 180 DM/„Wir besorgen es Dir mit dem Mund!“ 3. 1., 23 Uhr bis 23.18 Uhr: 165 DM/„Unbefriedigte Hausfrauen warten auf Dich“ 4. 1., 4.03 Uhr bis 4.29 Uhr: 212 DM. usw. Das macht allein für diese drei Nummern 575 Mark. Dazu kommen noch 200 Mark für die Inkassofirma, 100 für ein Detektivbüro sowie diverse Mahnkosten. Summa summarum etwa 1.000 Mark. Aber der Anwalt kann den säumigen Schuldner beruhigen: Sex am Telefon – das heißt einen unsittlichen Vertrag abzuschließen. Da muss man nicht zahlen! Und so ist es dann auch. Meistens ruft nach Erhalt des Anwaltschreibens noch einmal die Inkassofirma bei Lüko an und er erklärt noch einmal am Telefon, was daran so unsittlich ist. Und das war’s dann.
Also: Was den einen die Unsittlichkeit, ist den anderen der Kosovo. Das Schlimmste, was den über Friedenseinsätze sich sanierenden Ostlern mit Händies passieren kann, sind gemeinsame Militärübungen mit dem polnischen Nachbarn. Die „Polacken“ sind nicht beliebt: Man hängt bei Regen in Zelten herum und bekommt keine Gefahrenzulage. Zudem finden die Manöver meist auch noch in einem Funkloch statt. „Wir leben doch in einer Leistungsgesellschaft“, muffeln sie. Und sowieso kämpft man für Händie, Freundin und Opel-Corsa nicht wirklich um sein Leben. Ein Major auf der Bonner Hardthöhe verriet mir deswegen neulich schon mal das neue Nato-Verteidigungslinie – ohne Scheiß: „Die verläuft nicht mehr zwischen uns und der Sowjetunion, die Russen haben inzwischen dieselbe Einstellung wie wir – sie wollen nicht sterben. Anders ist es jedoch mit den Arabern. Deswegen verläuft die neue Nato-Linie jetzt“ – ratsch, ließ er eine neue Weltkarte hinter sich runter: „hier – irgendwo zwischen Marokko und Afghanistan.“ Übrigens brüllen auch Bundeswehr-Spieße nicht mehr: „Verstanden?!“, sondern: „Kommuniziert?!“ Bei den Amerikanern heißt es drohend: „Do we communicate?!“
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