normalzeit: HELMUT HÖGE über Wege
DIE NEUE MOBILITÄT
Zwar wird zu Recht über den zunehmenden Händie-Terror geklagt, doch Fakt ist, mit diesem Gerät lassen sich die Wege enorm verkürzen. Gestern telefonierte ich mit einem verheirateten Mann, der sich mit mir per Händie unterhielt. Während er auf dem Heimweg gerade in der U-Bahn saß. Ich merkte gar nicht, wie er an der Endhaltestelle ausstieg. Wir redeten über dit und dat. Und kamen dabei auch auf Persönliches zu sprechen. So erwähnte er die erneute Schwangerschaft seiner Frau, die mich im übrigen ebenfalls zu sprechen wünsche. Kaum hatte er das gesagt, klingelte er auch schon an seiner Wohnungstür. Er begrüßte kurz seine Frau und gab ihr sein Händie. Woraufhin ich das Gespräch mit ihr sozusagen fortsetzte. Ruckzuck.
Solche schon nur noch halbkuriosen Vorfälle häufen sich nun – in der mit Macht zum Fortschritt drängenden Kommunikationsgesellschaft zwischen – sagen wir: Pankow und Steglitz. Auf halbem Wege blieb ich neulich im Berufsverkehr stecken. Im Autoradio lief der neueste Witz, den sich der Sender 94.3 RS2 täglich „10 Jahre Urlaub“ für den jedesmaligen Anrufer kosten lässt. Den Witz vergaß ich sofort. Aber als ich aus dem Fenster nach links schaute, sah ich eine fröhliche Beifahrerin im Auto neben mir. Sie telefonierte mit einem Händie und wurde zunehmend wütender. Ich fragte sie – etwas flapsig: „Kommste nicht durch?!“ Sie wählte verbissen erneut – wieder vergeblich. Schließlich wendete sie sich mir zu und erklärte: „Da ist immer besetzt – bei diesem Scheißsender. Dabei habe ich so einen tollen Witz!“ „Meinst Du 94.3 RS2?“ „Ja, genau. Willste ihn hören? Zwei Rothaarige unterhalten sich in einem Café. Die eine fragte die andere ,Rauchst Du auch immer nach dem Vögeln?` – ,Ich habe noch nie nachgekuckt!` erwidert die andere“. Zwar musste ich erst überlegen, was denn nun die Pointe daran war, aber dann lobte ich ihren Witz. Und schon trennten sich unsere Wege wieder, weil sie auf der Abbiegespur stand und ich Grün hatte.
Spät am Abend besuchte ich kurz einen Freund, da klingelte plötzlich sein Händie im Nebenzimmer. Sofort lief er hin und wechselte ein paar Worte. Dann erklärte er mir: Den ganzen Nachmittag habe er verzweifelt sein Händie gesucht. Schließlich sei seine Freundin weggegangen, wobei sie ihm jedoch versprochen hätte, von einer Kneipe aus anzurufen – damit er aufgrund des Klingelns sein Mobiltelefon orten könne.
Stolz zeigte er mir sein wiedergefundenes Händie. Ich erzählte ihm daraufhin mein Händie-Witz-Erlebnis. Im Gegenzug erfuhr ich von ihm, dass es in Bangkok bereits regelrechte Stau-Radiosender gäbe, denen man per Händie seine spontanen Staugedichte durchgeben könne, die dann sofort gesendet würden. Überhaupt könne man dort bereits von einer regelrechten Staukultur reden. Mit fliegenden Händlern und speziellen Stau-Gadgets, wie Gefäße zum Reinpinkeln, auf Wunsch auch mit Adaptern für Frauen im Stau. Ich fragte ihn, ob er ein Staugedicht auswendig kenne. Das verneinte er, aber sein thailändischer Freund habe ihm versichert, die Qualität der Gedichte sei sehr mies. Das würde sich jedoch sicher bald ändern. Mit zunehmende Zahl der Staus und der Händie-Besitzer. Die meisten Gedichte würden zwar gereimt sein, aber im Grunde nur die selben Sachen beinhalten wie die üblichen Anrufe. Etwa so: „Du, Schatz / Ich stecke hier im Stau / Auf der Abfahrt nach Prenzlau / Und komme nur schrittweise weiter / Diese Idioten haben alle 50 Meter eine Ampel gesetzt / Und dann noch Fahrradweg und Busspur abgetrennt/ Man sollte sie alle erschießen/ Ich liebe dich/ Bis gleich!“ - Oder so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen