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normalzeit HELMUT HÖGE über Straßenspaß

VON DER LOVE ZUR HATE PARADE

Das klappt noch nicht! Im Gegenteil gibt es eine Reideologisierung des 1.Mai – zumindestens bei den so genannten Kreuzberger Autonomen, deren 1.-Mai-Demo 1999 noch mit Techno-Musik und Fun-LKW von der Volksbühne aus startete. Heuer jedoch wieder vom Oranienplatz aus. Das machte auch insofern Sinn, als die Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg inzwischen als verloren gelten dürfen: für das antikapitalistische Publikum.

In Kreuzberg fand zuvor jedoch die Türken- bzw. Kurden-Demo statt, die heuer ein Oranienplatz-Fest mit Musik war – im Anschluss an die DGB-Kundgebung. Dort hatten die linken Türken und Kurden sich wie immer dem IG-Metall-Block angeschlossen. Diesmal wurden ihre PKK-Abteilungen nicht von den Bullen behelligt. Auf dem Oranienplatz wurde dann zu türkischer Musik getanzt. Natürlich wird auch die türkisch-kurdische Linke sich auflösen – so wie überall auf der Welt die Reste der proletarischen Organisationen. Aber es war doch schön, sie immer noch lebend und tanzend zu sehen.

Anders die Berliner Linke – zwischen Popintegration und Straßenritual. Rednerin war heuer die Sarah Wagenknecht der Grünen: Jutta Ditfurth, die den rot-grünen Imperialismus und namentlich den Bellizismus von „Joschka“ geißelte – mit Zitaten. Was jedoch niemand hören wollte. In Jugoslawien geht es primär darum, dass sich dort die arbeitslosen Ostler ihre Handys und Opels mit „ehrlicher Arbeit“ (als Zeitsoldaten) verdienen. Auf der 1.-Mai-Demo waren jedoch vor allem angereiste Kriegsdienstverweigerer aus dem Westen, die hier Randale live erleben wollten. Mehrheitlich waren sie friedlich gestimmt: Die Bullen brauchten bloß mit ihren Knobelbechern aufzustampfen, schon stoben sie auseinander – und kamen erst vor den Technoclubs in Mitte wieder zum Stehen.

Im Grunde hat sich das Spektakel sowieso umgedreht: Es ist ein Fest der Polizei geworden. Jedes Jahr bekommen die Einsatzkräfte dafür noch schickere Gadgets. 1999 u.a. den schwarzen Tittenschutz aus Hart-PVC, diesmal Ami-Mützen mit „Polizei“-Aufdruck in Gold. Stolz wie die Spanier liefen sie damit durch die Autonomenblöcke, bevor diese sich in Rage formiert hatten. Dazu hatte die Einsatzleitung sich zusätzliche Combat-Ideen ausgedacht – z. B. das Befestigen des Kopfhörers mit Klebeband am Ohr und das Umwickeln der hölzernen Schlagstöcke mit Schweißtüchern. Die von überall her angereisten Polizisten probten vor allem Hauptstadt-Coolness, gegen Abend sah man aber auch viele verliebte Bullenpärchen, die sich – auf irgendeinem abseitigen Posten in Mitte platziert – unter einem blühenden Fliederbusch näher gekommen waren und sich nun die von einem Spezialkommando verteilten Schokoriegel und Zigaretten teilten.

Früher ging es mal darum, am 1. Mai das Politische jenseits des Staates zu denken – zu postulieren. Siehe dazu Walter Benjamins Ausführungen über das tendenziell Faschistische jeder Polizei, die neuerdings von Derrida wieder aufgegriffen wurden – in einem kleinen, grünen Suhrkamp-Bändchen über das „Recht“. Heuer gedachten nicht nur die Demo-Redner überflüssigerweise der rot-grünen Regierung und all ihrer Verfehlungen, sondern die ganze Veranstaltung war nur noch ein ordnungspolitisches Übungsfeld der Staatsmacht. Hierbei die „Übergriffe“ und „Fehlleistungen“ zu zählen, hat etwas von Korinthenkackerei. Nichtsdestotrotz muss man da durch! Es könnte ja sein, dass irgendwann so viele Demo-Teilnehmer anreisen, dass die ganze Bullerei samt Räumgerät an die quietschweißen Wände der neuen Dienstleistungscenter gequetscht wird. Das Quetschen meine ich wörtlich. Zu erinnern sei dabei an den „Kwetscher“ in den jüdischen Kiezen, der jedoch qP im Unterschied zu unseren eher schwäbischen Street-Fightern – seine konkretistischen Interessen genau kennt.

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