normalzeit: HELMUT HÖGE über Mini-DDRs
Im Westen nichts Neues
Wenn die DDR Fichtes Utopie eines „Geschlossenen Handelsstaates“ realisierte, weil die UdSSR ihre nachholende Modernisierung 1917 nur noch preußisch-etatistisch durchsetzen konnte, dann sind die meisten der in der BRD selbst organisierten linken „Projekte“ bloß Mini-DDRs: Die fetischisierten Ware-Geld-Beziehungen tasteten sie jedenfalls auch nicht groß an. Darauf deutete bereits der SDS-Beschluss hin, dass die Raubdrucker (mäßigen) Profit machen durften.
Auch in den Kinderläden und Kommunen wurde der Kapitalismus eher totgelacht. Im taz-Projekt wurde die „alternative Ökonomie“ nach dem Scheitern der DDR gleichfalls sukzessive gewendet.
Den umgekehrten Weg – der Reduktion – ging anscheinend die Schweizerische Landkommunebewegung „Longo Mai“, die neulich sogar noch einen Vortrag von taz-Autor Wladimir Kaminer auf ihrem Mecklenburger Hof ungeldlich abwickelte. Noch anspruchsvoller, aber auch lauter, war seinerzeit nur die österreichische „AA-Kommune“ von Otto Mühl. Dieses „Experiment“, das sein Hauptquartier zuletzt auf dem burgenländischen Friedrichshof und in einer Finca auf Gomera hatte, aber auch starke Ableger in Bremen und Berlin besaß, „scheiterte“ noch vor der Wende. Wenn man dem Mitgründer Theo Altenberg glauben darf, an den selben „Fehlern“ wie die DDR dann. Zuvor kam es zu Säuberungen – in der AA-Kommune ironischerweise „Glasnost“ genannt – und eskalierendem Größenwahn – ab „1985 begann dann die Phase einer völlig grotesken Entwicklung, die schließlich die Gruppe an den Rand einer Katastrophe brachte“.
Theo Altenberg konnte sich jedoch individuell wieder berappeln. Davon zeugt nun seine signierte Fotosammlung aus der Geschichte der Kommune, insbesondere von den aktions-analytischen Selbstdarstellungen auf den Vollversammlungen, die allabendlich im Friedrichshof stattfanden. Wobei die Hauptdarsteller meist nackt agierten, zudem hatten alle Kommunarden ihre Köpfe geschoren – ironisches Zitat aus Solschenizyns Archipel Gulag, wo seinerzeit ebenfalls schon die Psychoanalyse der Sowjetunion einzig überlebt hatte.
Bei der AA-Kommune handelte es sich um eine aus dem „Wiener Aktionismus“ entwickelte szenische Gruppentherapie, um den Ich-Panzer zu knacken: In Form von: „Selbstdarstellung, Freie Sexualität, Gemeinsames Eigentum, Gemeinsame Arbeit und Produktion, Gemeinsames Kinderaufwachsen, Direkte Demokratie“. Real setzte sich jedoch ebenfalls das Marketing, verbunden sogar mit Kunst- und Finanzspekulation, durch. Parallel dazu entwickelte sich ihre proletarische Psychoanalyse zum „Jeunesse d’Argent“-Paradies mit Atomschutzbunker, einem 80.000-Mark-Jahresetat allein für die Videofilmproduktion – und „in sehr glücklichen Situationen konnte man an seiner ‚afrikanität‘ schnüffeln, das ist unvergesslich“. So sagt es Altenberg in einem Interview mit Paolo Bianchi, dem derzeit für „Lebenskunst“ Verantwortlichen beim „Kunstforum International“.
Das Interview ist abgedruckt im Katalog einer Fotoausstellung über die AA-Kommune von Theo Altenberg, die man derzeit in der „Pictureshow“ im Kunsthof Mitte, Oranienburgerstraße 27, sehen kann. Im Nachwort schreibt der Wiener Aktionist Günter Brus: „Altenberg glich die Spannung zwischen der Mikroanalyse ‚Selbstdarstellung‘ und der Makromanie ‚Welterlösung‘ durch einen gescheiten Schachzug aus.“ Er rettete nämlich sein Selbst sowie die „Sammlung Friedrichshof“ für die Sofort-Kunst! Ich würde hierbei eher von einer „Spanne“ sprechen – die in etwa so weit reicht wie die von Black Power zu Rap.
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