normalzeit: Tausend Plateaus
Verarbeitet
Als der Berliner Merve Verlag den „Anti-Ödipus“-Nachfolgeband von Gilles Deleuze und Felix Guattari „Tausend Plateaus“ auf Deutsch herausgab, mussten die Verleger ihre Rente anknabbern. Dennoch verkauft sich das verschlungene, vielschichtige Werk nach wie vor sehr gut. Dazu trägt nicht zuletzt auch eine gleichnamige Spektakelserie in der Volksbühne-Ost bei. Zudem tauchen nun immer wieder Verarbeitungsversuche unvermutet auf. So im Internet unter dem Stichwort „Anti-Guerilla“ ein Aufsatz von Niels Werber, „Intensitäten des Politischen“ betitelt. Und gerade eben in der Zeitschrift Lettre in dem Beitrag „Geheime Dienste“ von Eva Horn. Ersterer vergleicht die „Tausend Plateaus“ mit dem RAF-Roman „Kontrolliert“ von Rainald Goetz. Letztere legte eine Analyse der „Praktiken und Wissensformen der Spionage“ vor.
In beiden wird über Verbleib bzw. Fortdauer dessen, was die Franzosen nomadische „Kriegsmaschine“ nannten, gerätselt. Wobei Eva Horn bis auf den frühesten und prägnantesten Konfliktforscher Sunzi zurückgeht, bei dem es darum ging, einen Krieg zu führen, „der idealiter ohne Schlacht, nur durch den Einsatz von Wissen zu gewinnen ist ... Mao Tse Tung war ein genauer Leser Sunzis“.
Hierbei besteht die höchste Kriegskunst in der Spionage – der Feldforschung. Während man hier die mit List und Tücke kämpfenden Illegalen vor allem auszurotten versuchte, bemüht sich die chinesische Kriegsführung eher um ihre Integration. Der „Staatsapparat“ verschluckt und verdaut die „Kriegsmaschine“, so könnte man mit den Franzosen sagen.
Der Protagonist der Letzteren ist, laut Horn, der Partisan: Er ist „derjenige Krieger, dessen wichtigste und mächtigste, gelegentlich auch einzige Waffe der Vorsprung an Wissen ist“. Und sei es der, dass seine Gegner noch nicht wissen, dass er weiß, was sie wissen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wagte auch der plötzlich postfaschistisch gewordene Staatsrechtler Carl Schmitt eine erste – neu-preußische – Partisanentheorie, die von einigen Maoisten sogleich sehr geschätzt wurde. „Deine Pläne sollen dunkel und undurchdringlich sein wie die Nacht“, sagt Sunzu. Demgegenüber steht jedoch die Befreiungsformel „Elektrifizierung plus Sowjets gleich Kommunismus“.
Der moderne Staat entkommt diesem blöden Widerspruch nur, indem er die öffentliche Aufklärung zu einer geheimen „Meta-Wissenschaft“ hochtreibt. In Rainald Goetz’ „Kontrolliert“ wird diese vom BKA-Chef Herold angedacht. Umgekehrt haben der Psychoanalytiker Paul Parin und der Philosoph Jacques Derrida im „Computer-Hacker“ die Fortsetzung des von Goetz „Raspe“ genannten Terroristen entdeckt. Und für Alexander Kluge ist schon fast jede intellektuelle Tätigkeit Partisanentum.
Der Heiner-Müller-Schüler Thomas Martin ging neulich in der FAZ sogar so weit, die flanierenden „Berliner“ als Partisanen zu enttarnen – das heißt als Jünger’sche „Waldgänger“ im Großstadtdschungel von Mitte und Prenzlauer Berg. Das ist die neue Kriegsmaschine. HELMUT HÖGE
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