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normalzeitHELMUT HÖGE über Paranoia

Mystifizierte Verhältnisse

Es ist gesagt worden, dass die Studentenbewegung wesentlich durch den Vietnamkrieg an Ausdehnung gewann, dieser gelangte über die erstmalige TV-Übertragung weltweit auf alle Netzhäute. Beim Golfkrieg hatten die amerikanischen Militärs dann jedoch das Übertragungs-Problem schon wieder fast im Griff – es gab von dort nur Videobilder von chirurgisch-präzisen High-Tech-Waffeneinsätzen, wobei so gut wie gar nicht mehr gelitten bzw. gestorben wurde. Dieser Krieg ist kaum noch in unseren Gedächtnissen vorhanden.

In der Zeitschrift Telepolis hat Rainer Rilling die These vertreten, dass der Siegeszug von TV auf Kosten des politischen Engagements verlaufen sei: „Was an Aufnahme politischer Informationen bleibt, kommt – wie gegenwärtig bereits für jeden zweiten Amerikaner unter 35 – aus dem Fernsehen.“ Und das ist eher Unterhaltungsquatsch. Einen Ausweg sieht Rilling im Internet. Dort hat die Berliner Netzeitungs-Kolumnistin Anjana Shrivastava gerade die neuesten Auswüchse dieses Internet-Auswegs analysiert. Es geht um Websites, auf denen tausende von Amerikanern die Flugzeug-Kondensstreifen am Himmel diskutieren und dokumentieren, weil sie davon ausgehen, dass es Giftwolken sind, mit denen die US-Regierung ihre eigenen Bürger besprüht. Sie schlagen mithin einen kühnen – paranoiden – Bogen vom Agent-Orange-Einsatz der US Air Force in Vietnam zum stetigen Abbau des sozialfürsorglichen Staates unserer Tage. Strittig ist nur noch, ob die Bevölkerung durch das Gift krank gemacht werden soll (von Asthma bis Depressionen reicht das Spektrum) oder ob der Staat sie bloß mit Chemikalien ruhig stellen will.

In der amerikanischen Literatur wird ein solches Denken schon seit langem kultiviert. Anjana Shrivastava erwähnt Thomas Pynchon, der die „erste symbolische Volte seines Meisterwerks“ bereits mit dem Kondensstreifen einer V2-Rakete „eröffnete: ‚ein Schrei verläuft quer über den Himmel‘ “. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass eine gewisse Paranoia schon immer in der amerikanischen Politik vorhanden war: „Von Anfang an haben die Amerikaner nach Zeichen von Prophetie und göttlichen Fügungen in ihrem öffentlichen Leben gesucht“.

Die Regierung musste deswegen immer wieder gegensteuern. So wurden z.B. im Zweiten Weltkrieg zum Eindämmen von wuchernden paranoiden Gerüchten expertenausgerüstete „Rumor Clinics“ im Land eingerichtet. Auch die „Panne“ beim Prozess gegen den Oklahoma-Bomber McVeigh verdankt sich vielleicht dieser Vorsichtsmaßnahme: Das FBI hielt verbotenerweise 4.400 Seiten Interviews im Prozess zurück, um der paranoiden These, der rechte Attentäter habe jede Menge Hintermänner im rechtsradikalen Milieu gehabt, zugunsten einer einfachen Einzeltäterthese entgegenzuwirken.

Ähnlich war auch die österreichische Prozessstrategie gegen den Briefbomben-Attentäter Fuchs, der vorgab, im Namen einer „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ zu agieren. Dummerweise ähnelte sie hier allzu sehr dem staatlichen Vorgehen gegen rechte Mördergruppen in der Weimarer Republik, so dass man dabei erst recht misstrauisch wurde. So wie bei dem Einzelhaar des RAF-Mannes Wolfgang Grams, mit dem nun alle politischen Attentate der BRD in den letzten zwanzig Jahren postmodern per Gen-Analyse aufgeklärt werden. Der amerikanische Computerkonzern-Erbe W. S. Burroughs meinte einmal: „Ein Paranoiker ist jemand, der alle Fakten kennt!“ Und ein anderer hellsichtiger Ami fügte hinzu: „Nur weil du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind!“ Plötzlich wachsen dir Grams-Haare auf dem Kopf – und du kannst nichts dagegen tun! Erst ein Prozess um die Beerdigungskosten wird die Frage klären: War es Mord von oben oder Selbstmord von unten? Und erst lange danach wird man jemandem „Akteneinsicht“ erlauben. Nicht zuletzt wegen des Films „Black Box BRD“ gibt es jedoch zu diesem Problem derzeit – über die Suchmaschine „google“ – bereits einige tausend Webseiten.

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