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normalzeitHELMUT HÖGE über die moderne Sperrtechnik

Ihre Freunde und Feinde

Die Sperrtechnik schaukelt sich zwischen den Herstellern und Anwendern einerseits und den Aufklärern andererseits immer höher, das heißt, die Schlösser werden immer komplizierter, weil auch die Einbrecher ständig dazulernen.

Es ist wie bei den Regenwürmern und den Amseln, deren Verhalten sich mit zunehmendem Einsatz von Rasenmähern verändert: Weil dadurch das Gras immer kürzer wird, müssen auch die Regenwürmer und ihre Fressfeinde, die Amseln, immer schneller und raffinierter reagieren. Ähnlich verhält es sich bei den Kellnern und den Registrierkassen, wobei die Firma National Cash Register beispielsweise jedes Jahr ein neues Modell auf den Markt bringen muss.

Bei der Sperrtechnik sind die wahren Aufklärer jedoch genaugenommen nicht die „Schlossknacker“, sondern die deutschen „Freunde der Sperrtechnik e. V.“ – die Handarbeiterfraktion des Chaos Computer Clubs, die sich statt auf das Knacken von Codes auf das Öffnen komplizierter Schlösser spezialisiert hat. Als Verein dürfen sie dafür sogar aus den USA importiertes Spezialhandwerkszeug der Polizei benutzen. Ihre Arbeitssitzungen sind öffentlich. Erst recht auf der „1. Messe über Geldbeschaffungsmaßnahmen“ auf dem Pfefferberg, wo die Gruppe einen großen Tisch aufgebaut hatte mit mehreren kleinen Schraubstöcken und ebenso vielen Kisten Bier.

Zu ihren täglichen Workshops rückte jedes Mal ein Haufen junger Leute an, der sich den ganzen Tag fröhlich mit dem Öffnen von immer mehrschichtigeren Sicherheitsschlössern beschäftigte. Zwischendurch wurden Lehrfilme gezeigt: über die Geschichte des Schlosses, über Autoschlösser im Typenvergleich sowie – mit versteckter Kamera – über die Tricks der verbrecherischen Schlüsselnotdienste.

Als einstiger Mitveranstalter der Messe wusste ich also Bescheid, als ich neulich einen solchen Notdienst anrief, weil meine Freundin und ich unsere Schlüssel in der Wohnung hatten liegen lassen. Das kann zwischen 100 und 150 Euro kosten, meinte die freundliche Dame in der Telefonzentrale des Nacht-Schlüsselnotdienstes in Pankow. Okay!

Daraufhin rückte einer ihrer Außendienstmitarbeiter an, der so gemein und widerlich-zuhälterisch aussah, dass ich sofort dachte: Nun ja, man soll nicht immer nach dem Äußeren urteilen! Er erwies sich jedoch im Innern als noch viel mieser!

Indem er einfach frech behauptete, mit seinem Werkzeug ließe sich die Tür nicht öffnen, er müsse das Schloss aufbohren und dann ein neues einsetzen … Gesagt, getan – am Ende mussten wir ihm 320 Euro für seine Bemühungen zahlen. Genau die Summe, mit der wir eigentlich auf die Kasseler Documenta fahren wollten. Nur Nietzsche lieferte uns da noch Trost: „Ich aber lasse mich gerne betrügen – um mich nicht vor Betrügern schützen zu müssen!“

Stattdessen waren wir um eine uns sogleich teuer gewordene Erfahrung reicher geworden, auch dies ganz im Sinne des irre gewordenen Philosophen, dem ein Leben als Kette von Experimenten eines Erkennenden vorschwebte, der dann jedoch in den letzten Jahren seines Lebens fast nur noch in der Badewanne (seiner faschistischen Schwester) saß – und onanierte.

Auch dabei können einem natürlich neue Erkenntnisse kommen, aber wir waren bei der deutschen Sperrtechnik und ihren „Freunden“ bzw. „Feinden“ – zu denen ich nicht die Einbrecher, sondern die verbrecherischen Schlüsselnotdienste zähle, da Erstere diese Technik möglichst geschickt überlisten wollen, während Letztere es nur auf den ahnungslosen Kunden abgesehen haben – hier also eine kriminelle Psychologie am Werk ist und dort wahre Künstlerschaft.

Die Freunde der Sperrtechnik hat man nun auch als solche erkannt, denn sie haben – auf ABM-Basis – ein Blindenprojekt starten können, das heißt, sie bringen jetzt blinden Menschen das Knacken von Schlössern bei, wobei „Knacken“ hier wörtlich zu verstehen ist, denn mit den amerikanischen Spezialwerkzeugen muss man nach Gehör arbeiten: Man braucht sogar ein ganz feines und vor allem geschultes Gehör, um selbst hochkomplizierteste Sicherheitsschlösser zu öffnen.

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