nebensachen aus washington: Wenn Mangel und seltsame Regeln das Leben erschweren
Wie damals im Osten
Es muss einfach mal gesagt werden. In Amerika ist es wie früher im Osten. In Europa hält sich hartnäckig der Mythos, dass die USA das Land der Freiheit und Amerikaner die perfekten Dienstleister sind. Nur weil in Supermärkten höfliche Uniformierte den Einkauf in großen Plastetüten verstauen, anschließend einen schönen Tag wünschen, man in Restaurants literweise Kaffee nachgeschenkt bekommt und in Geschäften jüngst erworbene Konsumwaren anstandslos zurückgeben kann, glauben Besucher aus der alten Welt im Kundenparadies zu sein. Weit gefehlt.
Der Alltag ist voller sinnloser Regeln, die immer wieder Kopfschütteln hervorrufen. Okay, mittlerweile bekomme ich keinen Wutanfall mehr, wenn ich eine Gaststätte betrete, in der ein Schild vor leeren Stühlen den Hungrigen warnt: „Bitte warten, Sie werden platziert“. Mutig suche ich mir einen Tisch auf die Gefahr hin, von der Bedienung ignoriert zu werden. Früher ließ sich solch eine Situation dadurch beheben, dass mein Westonkel der Kellnerin einen D-Mark-Schein zusteckte. Heute hilft noch nicht einmal die Weltwährung. Auch glaubte ich nach dem Mauerfall, in der westlichen Zivilisation von langen Warteschlangen befreit zu sein. Doch hier erfreut sich die Schlange großer Beliebtheit; mit Einsicht in die Notwendigkeit stellen sich Amerikaner geduldig und brav überall an.
Neulich war ich in einem Musikclub und wollte einen Kaffee trinken. Ich erspähte hinter dem Tresen eine Kaffeemaschine mit dampfenden Kannen. Doch meine Bestellung wurde mit dem Hinweis abgelehnt, diese sei nicht für den Ausschank bestimmt. Ja, Kaffee stünde auf der Karte, aber ich müsste zur Bar eine Etage höher gehen. Mein höfliche Frage, warum ich nicht eine Tasse von der Maschine direkt vor mir haben könnte, wurde quittiert mit: „Das ist nicht erlaubt.“
Auch mit der Qualiät und dem Überfluss ist das so eine Sache. Nach der Zeitungslektüre sind die Finger schwarz. Bei meinem Bäcker um die Ecke blicke ich um neun Uhr morgens in leere Regale. Nein, frische Bagels werden heute keine mehr gebacken. Als meine Heizung dann kürzlich ihren Geist aufgab, fühlte ich mich endgültig wie 1982 in Cottbus-Süd.
Ich rief einen 24-Stunden-Dienst an. Mir wurde ein rascher Rückruf versichert. Falls nicht, sollte ich mich noch einmal melden. Nach drei Stunden rief ich zurück. Viel zu tun heute, bekam ich als Antwort, aber ein Monteur würde sich wirklich bei mir melden. Wieder nichts. Ungeduldig griff ich zum Hörer. Der Mann sei bereits unterwegs. Tatsächlich meldete sich jemand, aber nur um mir mitzuteilen, dass er heute nicht mehr kommen kann. Morgen früh komme er aber bestimmt. Gleich um acht. Fehlanzeige. Entnervt rief ich an, wurde besänftigt, ja man entschuldigte sich sogar und versprach Besserung. Am Nachmittag hätte ich wieder eine warme Wohnung. Die Zeit verging, ich bemühte mich vergeblich um andere Handwerker, da klingelte die Tür und endlich war es so weit. Rasch war der Schaden behoben, die Rechnung bezahlt und die Temperatur stieg. Das Glück währte eine Stunde. Heizung wieder kaputt. Schäumend sprudelte ich durch die Leitung. Ins Nichts, denn mein Notservice hatte bereits Feierabend, und der Dispatcher sagte, der Chef würde sich morgen melden, wenn nicht, könne ich ja zurückrufen … MICHAEL STRECK
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