nebensachen aus kairo : Wider den langweiligen homo iraqis journales legens
Lieber reale Trockenhauben als fiktive Zeitungsleser
Er kommt praktisch in jedem Fernsehbericht aus Bagdad vor: der „homo iraqis journales legens“, der gemeine irakische Zeitungsleser. Meist tritt er in kleineren Rudeln auf, breitbeinig vor einem Zeitungskiosk stehend, und steckt seine Nase interessiert in die Zeitung. Als Abwechslung sitzt er auch gern als Einzelgänger seine Gazette studierend im Caféhaus.
Das Problem ist nicht nur, dass die immer gleichen Fernsehbilder aus Bagdad langweilig werden. Viel schlimmer: Die Gattung des auf der Straße lesenden Irakis gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Das ist ungefähr so, als mache man jeden Bericht aus Berlin mit ein paar auffällig vor dem U-Bahnkiosk herumlungernden Zeitungslesern auf. Mit dem Unterschied, dass die staatlichen irakischen Blätter so langweilig sind, dass sie weder vor dem Kiosk noch zu Hause gelesen werden. Trotzdem – ob CNN, BBC oder deutsche Fernsehsender – die gestellten irakischen Zeitungsleser zieren jeden Irakbericht.
Um die Kollegen vom Fernsehen etwas in Schutz zu nehmen: Der homo iraqis journales legens ist eine aus der Not geborene Spezies. Sämtliche Fernsehteams im Irak haben Mitarbeiter des Informationsministeriums an ihrer Seite, die ihnen sagen, was gefilmt werden darf und vor allem was nicht. Da erweist sich der irakische Zeitungsleser als unverfängliche Lösung, um überhaupt irgendwelche Bilder in die Heimatredaktion zu liefern. Es gibt noch eine paar andere stereotype Bilder, die das irakische Image prägen. Alles redet vom Krieg im Irak. Zum Leidwesen der Kamerateams gibt es in Bagdad selbst aber keine Soldaten zu sehen. Die Armee ist fern von den Journalisten rund um die Hauptstadt stationiert.
Da kommt der einsame irakische Soldat, der vor dem UN-Hauptquartier Wache steht, gerade recht. Die Lieblingseinstellung der TV-Teams ist dessen Schnellfeuergewehr, mit langsamer Abblende und anschließendem Schwenk auf die UN-Fahne. Das wirkt noch ein wenig unterhaltsamer, als die übliche Totale auf einen der Bagdader Verkehrsknotenpunkte, Marke „Auch die Iraker haben Autos, und die keines haben fahren Bus und Taxi“.
Dann gibt es noch jenen Versuch, den omnipräsenten irakischen Präsidenten mit ein wenig mesopotanischer Exotik zu verbinden. Gern lässt man da eine Beduinenfrau beim Einkauf am überlebensgroßen Poster Saddams entlangspazieren. Nur am Freitag wird der eintönige Bildfluss durchbrochen. Endlich lassen sich auch ein paar Iraker beim Beten in der Moschee zeigen. Sie tun mir Leid, die Fernsehkollegen, die unter widrigen Bedingungen fast Abend für Abend Bilder für die Nachrichtensendungen liefern müssen. Trotzdem, zum Schluss mein Appell: Bitte, bitte, verschont uns mit weiteren irakischen Zeitungslesern. Mein Vorschlag: Wie wär’s mit einem Besuch beim Coiffeur in Bagdad. Dort könnt ihr täglich die Szene „irakische Frauen unter Trockenhauben“ drehen. Die würde in ihrer Aussagekraft in etwa dem gestellten Zeitungsleser entsprechen. Im Schaufenster hängt auch sicher ein Saddam-Poster und fürs Lokalkolorit fände sich bestimmt auch noch eine vor dem Salon entlanghuschende mit schwarzem Umhang bekleidete Beduinenfrau. KARIM EL-GAWHARY