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n Bitte nicht „korrigieren“. Einige taz-Leser beharren auf alter OrthographieÜbel von oben – typisch deutsch

betr.: „verboten“, „Korrektorat für Deutschland“, „Eine deutsche Reaktion“, taz vom 28. 7.  00

Wenngleich ich auch gänzlich die neue Rechtschreibung ablehne, habe ich Ihren Beitrag mit Gewinn gelesen.

Vielfalt ist in der Tat nutzbringender als übertriebenes Vereinheitlichen. Nur eines haben Sie meiner Meinung nach vergessen: Die Reform war letztlich ein Werk gegen eine Vielfalt und ist gegen die überwältigende Mehrheit der Gegner in der Bevölkerung durchgesetzt worden. Sie ist ein diktatorischer Akt, der ein Herrenmenschendenken verrät. [. . .] Sprachlich ist diese Republik am Ende, mir jedenfalls verschlägt es so langsam die Sprache. Wie soll man da noch eine Stimme abgeben, oder anders gesagt: Wem soll ich sie geben??? HOLGER PETER, Bonn

Als Abonnent der ersten Stunde würde ich mich freuen, wenn Sie sich der FAZ anschließen könnten und wieder zur alten Rechtsschreibung zurückkehren würden.

In Ihrem Fall hat mich der vorauseilende Gehorsam bei der letztjährigen Umsetzung vor dem Hintergrund einer Übergangsfrist bis 2005 ohnehin gewundert. Der eigentliche Grund liegt jedoch in der Sache begründet. Als jemand, der täglich mit Schriftsprache umgehen muß und nach über dreißgjähriger Berufstätigkeit weiß, wie mühsam es ist, es zu einem einigermaßen zufriedenstellenden sprachlichen Umgang gebracht zu haben, stört einfach diese ordre de mufti. Von den Wortungetümen will ich gar nicht sprechen. Oder mögen Sie „dass“, „Commonsense“, „Filosofie“ etc.? HANS GÜNTER GREWER

Es ist schon erstaunlich, wie plötzlich eine (ganz offensichtlich) mißglückte [bitte nicht „korrigieren“ – d. Leserbriefschreiber] Rechtschreibreform verteidigt wird, weil die selbsternannte konservative Elite sich von ihr abwendet.

Und dabei hat sie in vielerlei Hinsicht recht. Die Änderungen an der herkömmlichen Rechtschreibung betreffen zumeist sprachhistorische Umdeutungen (z. B. platzieren von Platz statt zu frz. placer), vereinfachen nur weniges (Flussschifffahrt ist zwar ungewohnt, aber aus logischer Sicht in Ordnung), verwischen Sinnstrukturen, wie sie beispielsweise durch richtige Zusammenschreibung und herkömmliche Kommasetzung verdeutlicht werden, greifen das Hauptproblem der unsinnigen Groß- und Kleinschreibregelung aber nicht ansatzweise ausreichend auf. [. . .]

T. LANGEN , Cottbus

Ich habe mich oft darüber gewundert, daß Sie, obwohl sonst so basisdemokratisch, nicht nur nichts gegen den Oktroi der Rechtschreibreform (so gestern Th. Kielinger in der Welt) unternommen haben, sondern den Unsinn auch noch mitmachen.

Vielleicht haben Sie nicht mitgekriegt, daß diese Reform mit ihren barocken Groß- und Getrenntschreibungen und all dem anderen gelehrten Quatsch (Schneewechte, weil es von „wehen“ kommt, Ständelwurz, weil man davon einen „Ständer“ kriegt – kein Scherz!) gar nicht mehr die progressive Reform von 1973 ist (GEW-Kongreß „vernünftiger schreiben“). Jetzt sehen wir tagtäglich die moderne Orthographie der FAZ und die antiquierte der taz und der Springerzeitungen nebeneinander!! [. . .]

THEODOR ICKLER , Spardorf

Eigentlich hätte man ja damit gerechnet, daß die taz und nicht die FAZ den mutigen, basisdemokratischen Schritt geht, die unselige Rechtschreibreform wieder rückgängig zu machen. Gratulation! Ich lese beide Zeitungen, und finde die „neue“ Schreibweise einfach nicht überzeugend, Leser-unfreundlich und schwierig anzunehmen.

Eine bürokratische Kopfgeburt eben – gegen die Menschen, und nicht für sie gemacht. Übel von oben – typisch deutsch. [. . .] JENS MEURER

P. S.: Ich habe mit Freude gelesen, daß es bei Ihnen noch nie eine solche Flut an (einhelligen) Zuschriften gab. Schade, daß es nicht zu ebenso einhelligen Reaktionen kommt, wenn in Deutschland mal wieder ein Ausländer ermordet wird!

Es freut mich, dass die taz bei der neuen Rechtschreibung bleiben will. Auch ich habe mich darauf umgestellt. Aus Solidarität mit jungen Menschen wie meinem 20-jährigen Sohn, die auf das Umlernen Zeit und Mühe verwendet haben und sich verschaukelt fühlen müssten, wenn das nun alles umsonst gewesen wäre. Und aus Solidarität mit Schulanfängern und anderen Menschen mit Schreib- und Leseproblemen, wie meinem geistig behinderten Sohn. Ihnen fällt das Lesen leichter, wenn sie gleich an der Schreibweise erkennen können, wie ein Wort ausgesprochen wird: „Spaß“ mit langem a und „Pass“ mit kurzem a, „groß“ mit langen o und „Ross“ mit kurzen o, „Gruß“ mit langem u und „Kuss“ mit kurzem u. Das richtige Schreiben fällt leichter, wenn Wörter wie „Riss“ im Singular mit dem gleichen ss geschrieben werden wie im Plural. Und wenn unsinnige Regeln wegfallen. Warum sollte man st nicht trennen, wenn die Aussprache es nahe legt? Warum sollte man Schulkinder mit jener unsäglichen Regel plagen, nach der „Stofffetzen“ mit zwei f geschrieben werden sollte, „Stoffflicken“ aber mit drei f?

Die genannten Änderungen sind es wert, erhalten zu bleiben. Auch wenn man bei den übrigen Neuerungen hin und wieder etwas auszusetzen finden mag. So halte ich es für verfehlt, „sogenannt“ getrennt zu schreiben, weil „sogenannt“ eben nicht nur bedeutet, dass etwas „so genannt“ wird, sondern außerdem, dass es zu Unrecht so genannt wird. Bei solchen Einzelheiten kann man über Änderungen diskutieren. Deswegen braucht man nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten und zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Denn die alte Rechtschreibung war kinder- und behindertenfeindlich. IRENE NICKEL, Braunschweig

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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