musste uff’n knopp drücken:
von RALF SOTSCHECK
Manche Schulungskurse sind nützlich. Wer während seiner Jugend in Berlin von Busfahrern und Schaffnern gequält wurde, weiß durchaus zu schätzen, dass dem BVG-Personal beigebracht worden ist, die Fahrgäste nicht mehr als natürliche Feinde zu betrachten.
Wenn sich früher nach Schulschluss eine Meute von Kindern um die Bushaltestelle geschart hatte, rasten die fast leeren Busse stets an der Haltestelle vorbei. Erst wenn sich ein Erwachsener dazugesellte, hielt ein Bus. Bisweilen liehen wir uns einen Lehrer aus, der mit uns auf den nächsten Bus warten musste, auch wenn er eigentlich mit dem Auto nach Hause wollte.
Doch selbst wenn man sich mit Müh’ und Not in den Doppeldecker gezwängt hatte, war die Heimfahrt noch nicht gesichert. Einmal konnte ich meine Monatskarte nicht auf Anhieb finden, und der ungeduldige Schaffner schnauzte mich an: „Na, Poldi, du bist wahrscheinlich der Dümmste in der Klasse?“ Ich stimmte ihm zu und erklärte, dass ich wohl Busschaffner werden müsse. An der nächsten Haltestelle war die Fahrt für mich zu Ende.
Ein anderes Mal, nach einem Rockkonzert in der Philharmonie, strömten wir auf einen Sonderbus zu. Der Fahrer, der wohl nicht mit so vielen langhaarigen Kunden gerechnet hatte, machte geschwind die Tür zu und wollte sich aus dem Staub machen. Da griff sich der langhaarigste der verhinderten Fahrgäste den Scheibenwischer und drohte, ihn abzubrechen, falls der Fahrer nicht umgehend die Tür öffnete. Der BVG-Mann gab sich geschlagen. Inzwischen gibt es kaum noch Personal. Neulich wollte ich auf dem U-Bahnhof Konstanzer Straße eine Wochenkarte für 40 Mark ziehen. Den ersten Zwanzigmarkschein nahm der Automat dankend entgegen, doch den zweiten Schein wollte er nicht. Er schob ihn durch eine völlig fehlkonstruierte Plexiglasklappe wieder hinaus, wobei sich das Geld verhedderte und gut sichtbar, aber unerreichbar im Glaskäfig verharrte. Meine Suche nach einem BVG-Angestellten blieb ergebnislos. Als ich an den Automaten zurückkehrte, hatte er sich abgeschaltet und rückte auch den ersten Geldschein nicht mehr heraus. Doch am Ende wurde alles gut: Ein Anruf genügte, und ich bekam einen Entschuldigungsbrief und eine Überweisung von 40 Mark – und 30 Pfennig für das erforderlicheTelefongespräch.
Auch in den Bussen erlebt man immer öfter die Freundlichkeitsoffensive der BVG. Manchmal vergessen die Fahrer das aber noch. Auf dem Weg nach Kreuzberg im 29er-Bus döste ich vor mich hin und hätte fast meine Haltestelle am Maybachufer verpasst. Im letzten Moment drückte ich auf den Halteknopf, doch der Bus fuhr ungerührt an der Haltestelle vorbei. Ich ging nach vorne zum Fahrer und erklärte ihm, dass ich eigentlich aussteigen wollte.
„Musste uff’n Knopp drücken“, antwortete er. Das hätte ich ja getan, entgegnete ich. „Bissjen spät, wa?“ Dann fiel ihm seine Schulung wieder ein. Er fuhr an den Straßenrand, öffnete die Tür und rief: „Aber macht ja nüscht. Und ’nen schönen Sonntach noch, der Herr!“
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