möllemann: Blaugelb die Schale, bräunlich der Kern
Perplex reagierte der Chefredakteur des PDS-nahen Neuen Deutschlands, als er des neuesten Werks seines Kolumnisten Jürgen Möllemann ansichtig wurde, der dort im Wechsel mit Gregor Gysi schreibt. Das Blatt hatte mit dem Engagement des FDP-Politikers sicher eine Lockerungsübung im Auge gehabt. Sie wäre besser unterblieben. Denn die ND-Journalisten haben Möllemann eine Plattform für das Unternehmen verschafft, rechtsextremistische Positionen in Europa mit der Gloriole eines demokratischen Bürgerwillens zu umgeben. Möllemann flog mit sofortiger Wirkung.
Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER
Unter medienpolitischen Gesichtspunkten analysiert, gilt er als Meister der Selbstinszenierung, als Virtuose des kalkulierten Tabubruchs. Aber schon die Auseinandersetzung mit dem Zentralrat der Juden war Anzeichen für eine nunmehr offenbare Absicht: Fremdenhass und Antisemitismus dürfen nicht nur privat geraunt werden – sie sollen in der FDP eine öffentliche Heimstatt finden.
In seinem Kommentar deutet Möllemann die neuesten Wahlerfolge des rechten europäischen Radikalismus, zuerst in Frankreich, jetzt in Holland, zu einer „Emanzipation der Demokraten“ um. In die Rolle eines zukünftigen Historikers schlüpfend, sieht er in ihnen „eine Welle des erwachenden Selbstbewusstseins“. In den Wahlergebnissen drücke sich die Enttäuschung der Wähler über gebrochene Wahlversprechen der etablierten Parteien aus.
Möllemann gibt sich mit dieser Interpretation als Pragmatiker jenseits von links und rechts. Er verschweigt, dass der europäische rechte Populismus sehr wohl einen programmatischen Kern hat. Und dass er nicht nur aus Protestmotiven, sondern eben um dieses Kerns willen gewählt wurde. Es geht um ethnisch verstandene Homogenität, um „nationale Präferenz“, um den Versuch, einer schwankend gewordenen Identität scheinbar rettenden Halt zu geben.
Dieses harte ideologische Substrat verträgt sich sehr wohl mit liberalen Versatzstücken, wo diese wie etwa in Holland zum Common Sense gehören. Aber stets läuft das rechte Credo darauf hinaus, jede auf demokratischen Prinzipien fußende Idee der Bürgerschaft zu negieren.
Was Möllemann als Emanzipation preist, ist ihr genaues Gegenteil. Es ist freiwillige Knechtschaft unter dem Diktat der Angst, der Angst vor dem Fremden. Seltsamer Liberalismus, der mit dieser Klientel sein bislang nur belächeltes 18-Prozent-Soll erreichen will.
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