möllemann: Zeit zum Nachdenken
Herzrhythmusstörungen sind ernst zu nehmen. Und niemandem ist ein Krankenhausaufenthalt zu wünschen. Trotzdem – und das soll nicht pietätlos klingen – kann Jürgen Möllemann durchaus dankbar sein, dass sein Herz rebelliert. Denn es hat ihn höchstwahrscheinlich davor bewahrt, dass er sich eine Niederlage auch noch schriftlich geben lassen musste.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Schon seit Tagen war zu beobachten, dass Möllemann versuchte, sich dem Showdown auf dem FDP-Sonderparteitag in Wesel zu entziehen. Immer wieder richtete er Friedensangebote an Guido Westerwelle: Er bot an, auf sein Mandat im Bundestag zu verzichten. Und er schwor, dass er sich nur noch in Nordrhein-Westfalen engagieren wolle.
Aber Westerwelle blieb unerbittlich und verlangte stur, dass Möllemann auch seinen FDP-Landesvorsitz verliert. So entschieden hatte man das liberale Oberhaupt noch nie erlebt – aber er hatte Recht mit diesem Konfrontationskurs. Machtkämpfe mit Möllemann kann man weder vertagen noch begrenzen, man muss sie gewinnen.
Er oder ich, nannte Westerwelle das. Diese maximale Eskalation war mit den Formelkompromissen einer Partei nicht mehr zu deeskalieren. Auch dem letzten FDP-Delegierten wurde langsam klar: Wesel am Rhein ist zwar wirklich sehr abgelegen, trotzdem würden sie dort nicht nur über eine Person namens Möllemann entscheiden, sondern auch über die Zukunft der Liberalen.
Das aber war eine Verantwortung, die selbst viele Mölli-Fans nicht auf sich nehmen wollten, ihnen wurde leicht schummrig. Sosehr sie den Fallschirmspringer als Prozentmaschine schätzen, so genau kennen sie seine Fehler: Möllemann ist nicht teamfähig, er ist beratungsresistent und unkalkulierbar. Immer mehr Kreisverbände in Nordrhein-Westfalen sprachen sich gegen ihren Landeschef aus.
Nichts wirkt in einer Partei mit mehr Macht als das Plebiszit der Basis. Hätte Möllemann seine Vertrauensfrage in Wesel verloren, wäre er für lange Zeit in der FDP erledigt gewesen – wahrscheinlich für immer. Nicht umsonst hatte Möllemann mit Parteiaustritt gedroht, sollte er die Kampfabstimmung verlieren.
Doch stattdessen ist Möllemann nun Patient und darf Mitleid beanspruchen. Ganz in Ruhe kann er sich überlegen, ob er so schlau ist, seinen Landesvorsitz „aus Gesundheitsgründen“ zurückzugeben. Es ist ihm dringend zu raten – und zwar ganz unabhängig vom wahren Zustand seines Herzens.
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