modernes antiquariat: Privat: Gerhard Wolfs „Beschreibung eines Zimmers“
Last Exit Friedrichshagen
Vor dem Boom war auch schon Boom: Wir stellen in unregelmäßiger Folge Berlin-Romane vor, die vor 1989 erschienen sind.
Kopfsteinpflaster, alte Bäume und Häuser mit bröckelndem Putz. Berlin-Friedrichshagen. Nur an den Marken der Autos, die am Straßenrand parken, erkennt man, es ist nach 1989.
In der Ahornallee, im Haus Nummer 26, lebte Johannes Bobrowski, Lyriker, Romanautor und Anfang der 60er-Jahre Kultfigur der Schriftstellerszene Ostberlins. Ein Dichter, der heute etwas in Vergessenheit geraten ist und doch im Olymp der Lyriker gleich neben Paul Celan und Ingeborg Bachmann sitzen müsste. 1965 starb er. Seine Familie lebt noch immer in der Ahornallee 26 und steht unter „Bobrowski“ im Telefonbuch. Also ruft man an, verabredet sich mit Sohn Justus, der einen in das dämmrige Arbeitszimmer seines Vaters führt: ein Ort, wie aus der Zeit gefallen.
Ende der Sechzigerjahre hat Gerhard Wolf, Essayist, Lektor und außerdem mit Christa Wolf verheiratet, ein Buch geschrieben über das Zimmer des Freundes, der nach einem Blinddarmdurchbruch gestorben war. 1971 erschien „Beschreibung eines Zimmers“ zuerst im Ostberliner Union-Verlag. Wolf, knapp zehn Jahre jünger als Bobrowski, also damals Ende dreißig, setzte sich in das Zimmer, das auch über dreißig Jahre später noch fast unverändert ist. Wolf beschreibt die Dinge, die sich dort befinden: Bücher, Bilder, Möbel, Stoffe. Beschwört aus ihnen nicht nur den Dichter Bobrowski und sein Werk noch einmal, sondern die Atmosphäre einer Epoche: eine Ostberliner Innenansicht aus der Zeit, als die Mauer jung und der Schrecken über die Vergangenheit lähmend war. Wolf hält sich zunächst eng an die Dichterbiografie. Erklärt die Herkunft des Namens anhand des Familienwappens, das er im Zimmer findet, erzählt von Ostpreußen, aus dem Johannes Bobrowski stammte. Man liest von Verbrechen, die nicht erst von der Wehrmacht begangen wurden, sondern schon von Rittern des Deutschen Ordens, die im Mittelalter Ostpreußen eroberten. Sie steigen aus Fotografien, Landkarten und alten Büchern auf.
In die Beschreibung fließen Arbeiten von Herder, Klopstock oder Hamann ein, die Bobrowski beeinflussten und deren Werke Wolf aus dem Bücherschrank herausnimmt und darin blättert. Später kommen Zeitgenossen dazu: Sarah Kirsch, Christoph Meckel und besonders Günter Bruno Fuchs. Wolf streift durch literarische Landschaften, durch ostpreußische Idyllen, die sich schließlich verfinstern.
Aber es geht nicht wirklich um dies verlorene Ostpreußen. Schon bei Bobrowski nicht. Es ist nur ein Bild für die Entwurzelung einer Generation, die der Nationalsozialismus heimatlos machte, denn durch ihn gab es kein Land und eben auch keine Landschaft mehr, die einem so etwas wie Heimat hätte bieten können. So bleibt also allein das Zimmer des Dichters übrig, um von dort aus in die luftigen Sphären der Dichtung aufzubrechen. „Die einzige menschliche Expansion dieser Epoche: die durch Poesie, das altmodische Wort“, schreibt Gerhard Wolf. Und das ist natürlich ein schönes, lyrisches Bild. Aber auch ein seltsames, weil hier über Dichtung wie über einen Eroberungskrieg gesprochen wird. ESTHER SLEVOGT
Gerhard Wolf: „Beschreibung eines Zimmers. Fünfzehn Kapitel über Johannes Bobrowski“. Arsenal Verlag, Berlin 1993. 190 Seiten, 29,80 DM
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