piwik no script img

mietobergrenzenRechtswidrig gespart

Manche Hartz IV-EmpfängerInnen bekamen in Bremen zu wenig Miete bezahlt, sagt jetzt das Oberverwaltungsgericht. Doch profitieren kann von dem Urteil nur, wer Widerspruch eingelegt hat

Wer laut Bagis zu viel zahlt, muss ausziehen. Jetzt aber hat das OVG die Mietobergrenzen korrigiert Bild: Archiv

Bremen hat in der Vergangenheit Hartz IV-EmpfängerInnen mitunter zu wenig Wohngeld gezahlt. Das ist der Tenor eines jetzt gefällten Leiturteils des Oberverwaltungsgerichts Bremen (OVG), und so hat es auch das Sozialgericht Bremen vor kurzem verkündet. Das heißt allerdings nicht, dass Betroffene deswegen jetzt höhere Mieten erstattet bekommen. Rückwirkende Zahlungen kennt das Sozialrecht im Regelfall nicht, sagt die Sprecherin des Sozialressorts Petra Kodré. Und so kann von dem OVG-Urteil - dessen detaillierte Begründung noch aussteht - nur profitieren, wer seinerzeit selbst Widerspruch gegen einen Bescheid der Bagis eingelegt hat.

Im konkreten Fall ging es um einen Alleinstehenden, der, als es ihn beruflich nach Walle verschlug, eine 48 Quadratmeter große Wohnung in Walle bezog, zum Preis von 378 Euro. Als er arbeitslos wurde, bewilligte ihm die Bagis für das fragliche erste Halbjahr 2005 lediglich eine Kaltmiete von 245 Euro, später stieg der Satz auf 265 Euro. Der Rest musste vom Arbeitslosengeld bestritten werden. Das OVG sprach ihm nun zehn Prozent mehr Wohngeld zu - also 291,50 Euro. Die tatsächliche Miete wird weiterhin nicht bezahlt. Auch einen Umzug hält das Gericht für zumutbar.

Das Urteil gilt analog für alle offenen Verfahren dieses Zeitraums, sagte Gerichtssprecher Hans Alexy. Wie viele das sind, vermochten aber weder das Gericht, noch die Bagis oder die Sozialbehörde zu sagen. Dort geht man davon aus, dass es "nicht viele" sein werden. Über die Höhe jetzt fällig werdender Nachzahlungen gibt es aber keine Schätzungen. Beim OVG stehen momentan 125 Berufungsverfahren an - doch die betreffen die ganze Bandbreite der Sozialgesetze. Der Erwerbslosenverband schätzt, dass 1.500 Haushalten schon im ersten Halbjahr 2005 das Wohngeld gekürzt wurde.

Das Urteil gilt zunächst nur für diesen Zeitraum - und auch nur für so genannte "Single-Wohnungen" im Bremer Westen. Dort war "ein ausreichendes Angebot an angemessenen Wohnungen" zum staatlich festgelegten Preis seinerzeit "nicht vorhanden", so das Urteil. Kommt man zu dem Ergebnis, dass sich der dortige Wohnungsmarkt hernach nicht wesentlich verändert hat, sind analoge Entscheidungen für die Zeit seit Sommer 2005 zu erwarten. Auch später vorgenommene Wohngeldkürzungen wären dann nicht rechtens. Beim Erwerbslosenverband geht man davon aus, dass die Entscheidung zumindest für das ganze Stadtgebiet anwendbar ist.

Das OVG stützt sich dabei auf das Gutachten der Gewos von 2005, da für Bremen kein Mietspiegel existiert. Das Sozialgericht hatte jüngst diese Untersuchung als inzwischen veraltet und methodisch unsauber eingestuft. Im Sozialressort geht man davon aus, dass ein Drittel aller Wohnungen in Bremen auch für Hartz IV-EmpfängerInnen bezahlbar sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!