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Archiv-Artikel

leserinnenbriefe

Schweinegrippe-Hysterie

■ betr.: „Das Grippe-Orakel aus dem Internet“, taz vom 4. 11. 09

Kein Tag ohne Neuigkeiten von der Schweinegrippe. Diese Artikel schüren die Angst und besetzen Platz, der anderen, wirklich wichtigen Artikeln fehlt. Es gibt jedes Jahr weltweit Grippewellen, an der Menschen sterben. Auf einmal ist es das Schweinevirus, und wir sollen uns alle impfen lassen. Die Todesfälle halten sich im Rahmen, und man hat das Gefühl, jeder weitere wird gefeiert. „Mittlerweile sechs Tote durch die Schweinegrippe!“ Sieht so eine Epidemie aus? Die meisten Fälle verlaufen komplikationslos und mild.

Warum es funktioniert, liegt an zwei Punkten: Zum einen ist es ein Milliardengeschäft für Pharmafirmen, die auch in Deutschland eine starke Lobby haben. Diese brauchen sich nicht vor einer Finanzkrise zu fürchten. Zum Zweiten ist es der hilflose Versuch der Menschen, auf eine Gefahr zu reagieren. Der Glaube, ein Piks würde die Sache schon regeln, ist gut fürs Gewissen, und man hat irrtümlicherweise das Gefühl, dass man etwas getan hat. Auch die Regierung fährt auf dieser Schiene. Wie viel unbequemer, aber effektiver und nachhaltiger wäre ein Blick auf die Hintergründe: Rinder, Geflügel und Schweine führen in Massentierhaltung ein unwürdiges, krank machendes Leben. Wie wäre es, hier anzusetzen und bessere Bedingungen auszuhandeln und den hohen Fleischkonsum an sich infrage zu stellen? Nein, daran mag niemand rütteln. Wir haben zwar Angst vor einer Schweine- oder Vogelgrippe, und es wird sogar der nationale Notstand ausgerufen (in den USA), aber der Auslöser wird nicht angerührt!

Krankheit ist immer ein Ausdruck eines instabilen Immunsystems. Es ist jedem klar, dass eine gesunde Lebensweise das Abwehrsystem stärkt. Schauen wir auf den Stress im Beruf, die Autos und ihre Abgase, der Lärm in den Städten, Lebensmittel aus der Konserve oder in Plastik eingeschweißt, die vielen allergenen Stoffe in Nahrung, Kleidung und von der industriellen Produktion ausgestoßen, dann fragt man sich, ob es wirklich sinnvoll ist, auch noch mit einem Impfpiks schädliche Stoffe wie zum Beispiel Quecksilber aufzunehmen.

Eine nachhaltigere, natürlichere Lebensweise würde viel bewirken und sich auch auf unsere Anfälligkeit für Grippen auswirken. Diese Veränderung wäre aber der Masse und der Regierung zu radikal – wir wollen unser Fleisch, wir wollen kein Tempolimit, Atommüll darf weiter strahlen, Plastikflaschen mit Weichmachern sind auf dem Vormarsch, die Bahn will an die Börse, statt mit guten Preisen Menschen vom Auto auf die Schiene zu bewegen, und neue Sorten Genmais lassen wir EU-weit auch zu – ohne zu wissen, wie sich das auf uns auswirken könnte. Aber dann bitte eine Impfung – wegen dieser unsäglich gefährlichen, gemeinen Schweinegrippe, die uns voller Unschuld unvermittelt trifft, dessen arme Opfer wir sind, und die sich, so wird seit Monaten gepredigt, ganz rasch, ganz schlimm ausbreiten wird. Na dann gute Nacht!

MAREN EMDE, Frankfurt am Main

Panikmache nicht mitmachen

■ betr.: „Koch-Institut: Grippewelle rollt an“, „Föderales Chaos“,taz vom 3. 11. 09

Leute, was soll das, jetzt heißt jeder grippale Infekt schon Schweinegrippe. Ist denn ein Anstieg der Erkrankungen nicht jedes Jahr um diese Zeit zu erwarten. Aber weil Baxter seine Giftbrühe verkaufen will, machen alle Verantwortlichen schön mit bei der Panikmache. Ich erwarte eigentlich, dass die taz einen kritischen Journalismus macht. An diesem Punkt vermisse ich ihn.

HELMUT BREITENFELD, Tecklenburg

Krieg ist Vater und Herrscher

■ betr.: „Die kleine Wortkunde. Krieg“, taz zwei vom 4. 11. 09

Der griechische Philosoph Heraklit wurde schon in der Antike als „der Dunkle“ bezeichnet. Von ihm sind keine Erörterungen überliefert, sondern nur einzelne Sentenzen, die teilweise schwer verständlich sind. Allerdings lässt sich kein(!) bekannter Satz dieses Philosophen so deuten, dass Heraklit den Krieg als „totale Desorganisation des sozialen Systems“ ansehen würde, wie das in Ihrer „kleinen Wortkunde“ behauptet wird.

Eher ist das Gegenteil der Fall: Die bekannteste Aussage Heraklits über den Krieg (Fragment B 53) lautet übersetzt etwa so: „Der Krieg ist der Vater und der Herrscher von allem, und die einen hat er als Götter ausgewiesen, die anderen als Menschen, und die einen hat er zu Sklaven gemacht, die anderen aber zu Freien“. Somit sieht der Philosoph im Phänomen des Krieges offensichtlich die eigentliche Ursache dafür, dass die Welt so ist, wie sie ist (bzw. wie sie sich für Heraklit um etwa 500 v. Chr. darstellte).

WINFRIED SCHUMACHER, Köln