kunst: Radek Krolczyk über fernando Bryce in der Kunsthalle Bremen: Mit getuschten Steinen gegen den Kolonialismus
Seit letzter Woche zeigt die Bremer Kunsthalle eine Einzelschau des südamerikanischen Künstlers Fernando Bryce. Er hat Plakate, Portraits, Annoncen und ganze Zeitungsseiten in Tusche übertragen. Die Vorlagen stammen mehrheitlich aus den Jahren des Ersten Weltkriegs. Inhaltlich kreisen sie alle recht direkt um den imperialen Weltkrieg und um den Kolonialismus.
Prominent auf Plakaten und Flyern zur Ausstellung ist immer wieder jenes seltsame Bild zu sehen: Eine kantige Skulptur in der Form eines Elefanten steht auf einem Sockelaufbau aus Ziegelsteinen, im Hintergrund sieht man Bäume. In Bremen fühlt man sich natürlich vollkommen zu Recht direkt an den Elefanten hinter dem Hauptbahnhof erinnert. Ein Kolonialdenkmal des Bildhauers Fritz Behn von 1932, das ursprünglich den Anspruch der Deutschen auf Kolonien in Afrika behaupten sollte. 1990 schließlich wurde es zum Antikolonialdenkmal umgewidmet.
Das Elefantenmal ist aus Ziegelsteinen gebaut – und hier beginnt die Irritation beim Betrachten der Zeichnung. Denn der Elefant auf dem Bild scheint aus horizontal geschichteten Blöcken zu bestehen. Möglicherweise würde später in Feinarbeit mit Hammer und Meißel ein Elefant aus den Blöcken herausgeschält. Das trifft aber auf das Bremer Kolonialehrenmal nicht zu. In einem Zeitungstext, den Bryce unter das Bild gemalt hat, erfährt man dann, dass der Elefant hier mit Stoff verhüllt ist und auf seine Einweihung wartet.
Die aber bleibt aus, weil die Polizei alle öffentliche Veranstaltungen untersagt hatte. So ergibt sich ein recht produktiver Umstand aus der Übersetzung eines Zeitungsausschnitts in eine Tuschezeichnung. Denn zum einen schaut man auf etwas, das man wiederzuerkennen scheint, das aber dann signifikant abweicht. Zum anderen aber ergibt sich durch die Weichzeichnung des Ursprungsmotivs auch eine inhaltliche Verschiebung. Ein Laken und ein Steinblock unterscheiden sich nun einmal.
Die mit der Feder nachempfundene Zeitungsschrift bietet inhaltlich eine Lösung, schafft formal jedoch ein neues Rätsel: Denn als Bild verändert die Schrift ihren Charakter, wird schwieriger lesbar und fordert auf diese Weise gesteigerte Aufmerksamkeit.
Die Tuschezeichnung ist Teil eines von insgesamt vier dicht gehängten Zeichnungskonvoluten. „Vergessenes Land“ ist der Titel, der speziell für die Ausstellung der Kunsthalle entstandenen Serie. Ihr Thema ist die Bremer Kolonialgeschichte. Dabei hat Bryce ganz verschiedenes Material zusammengetragen, das Bremens Rolle und Zeit im Kolonialismus wiedergibt: Werbung der Deutschen Tabakbau Gesellschaft „Kamerun“ oder des Norddeutschen Lloyd, aber auch Fotos oder Postkarten. Darauf zu sehen ist etwa die folgende ausgesprochen unangenehme Szene aus dem Überseemuseum: Umringt von gaffenden Schülern sitzt eine Hererofamilie vor einer Lehmhütte. Denn neben den üblichen Kolonialwaren wurden auch Menschen geraubt, für eine Mischung aus Bildung und Bespaßung der einheimischen Bevölkerung.
Bryce schafft so einen direkten Zusammenhang zwischen fraglos ekelhaften, aber vergangenen Praktiken wie dem Ausstellen von Menschen und scheinbar harmlosen Angelegenheiten wie dem Museumswesen, der Schifffahrt und dem Handel. Durch die Überführung der unterschiedlichen Ausgangsmedien in die Tuschezeichnung, schafft Bryce zunächst eine Vereinheitlichung, zeigt dann aber Vielfalt und Zusammengehörigkeit, hier des Kolonialismus.
Ähnlich geht Bryce bei einer anderen Arbeit vor, die in der Kunsthalle zu sehen ist: „Civilized World“ von 2013/14. Sein Thema hier ist der Erste Weltkrieg, speziell jedoch der deutsche Angriff auf das neutrale Belgien im ersten Kriegsjahr, also 1914. Bryce bezieht sich hierbei auf ein gleichnamiges Manifest, das knapp 100 deutsche Intellektuelle zum Kriegsbeginn unterzeichneten. Sie leugneten in patriotischer Manier darin die deutschen Greueltaten. Bryce hat das Manifest samt allen Unterschriften in Tusche nachgezeichnet. Gleichzeitig hat er ihm 100 weitere Blätter zur Seite gestellt, von denen viele die Position der Alliierten widerspiegeln. Zeitungsartikel berichten von der „teutonischen Barbarei“. Es gibt Bilder von der zerstörten Löwener Universität und der zerschossenen Kathedrale von Reims.
Der Kunsthalle ist eine beeindruckende Ausstellung gelungen. Der 1965 in Lima geborene und heute in New York lebende Bryce gehört zu den wichtigsten südamerikanischen Künstlern. Gleichzeitig schließt das Museum hier an die letztjährige Schau der US-Künstlerin Mary Reid Kelley an, die sich ebenfalls aus einer entfernten Perspektive mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigte.
Die Ausstellung ist bis zum 19. November zu sehen.
Der Autor ist Betreiber der Galerie K’.
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