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Archiv-Artikel

kulturhauptstadt im kasten Die Debatte zur Bremer Bewerbung: Heute Michael Weisser, Multi-Media-Künstler

Kultur als Selbstbestimmung

Bremen bewirbt sich als Kulturhauptstadt 2010. Aber wie? In unserer Serie beziehen Kulturschaffende, Mäzene, Entscheidungsträger Position. Heute: Michael Weisser, Multi-Media-Künstler

Die Idee von einem „Bremen als Kulturhauptstadt“ ist mehr als ein brillanter Schachzug auf dem Feld zwischen Kultur und Kommerz. Diese Idee verlässt die begrenzten zwei Dimensionen des Feldes von schwarz und weiß, denn sie baut eine Brücke in einen Raum, der alle Nuancen von grau bis bunt zulässt. „Bremen als Kulturhauptstadt“ klingt mehr nach einem intelligent-sinnlichen Werk der Konzept-Kunst, als nach hemdsärmeliger Kommunalpolitik, und so liegt der Reiz dieser Idee gerade darin, den Blick über den Tellerrand einzufordern, die Vision von einem „besseren Morgen“ auf den Weg zu bringen.

Worin liegt die Vision? Und: Was wird aus einer „guten Idee“ für das Morgen, wenn sie freigelassen wird in die Praxis eines dornenreichen Heute?

1. Zur Diskussion steht ein Projekt, das „alle Bremer Kräfte“ fordert. Was immer das „alle“ zusammenfasst, muss es sich doch abgrenzen. Oder liegt der gemeinsame Nenner in der Qualität der „Kraft“? Wer alles beteiligt, was bereits „kräftig“ ist, der muss sich die Frage stellen, ob das, was sich heute als „kräftig“ und mächtig und bedeutsam zeigt auch geeignet ist, eine Vision für morgen zu tragen. Konkret: Wer heute entscheidet, der muss die Leuchttürme für einen Weg setzen, der morgen befahren wird.

2. Zur Diskussion stehen das Land Bremen und die „Neubewertung seiner traditionellen Kultureinrichtungen“. Tradition zeichnet aus, dass sich erhalten hat, was im gesellschaftlichen Konsens als bewährt gilt. Die geforderte Neu-Bewertung setzt also Maßstäbe, die mit den Werten von heute die Qualität von morgen bewerten sollen. Was ist in diesem Zusammenhang Qualität?

Stehen die Kultureinrichtungen auf dem Prüfstand ihrer bloßen Tauglichkeit für Stadt-Promotion, für Bettenbelegung, für Touristenkonsum, für wirtschaftlichen Aufschwung? Und was ist mit jenen Formen von Kultur, die nicht in einer Einrichtung verpackt sind, die nicht die „Kraft“ einer schlagkräftigen Organisation mit der Lobby zu Politik und Wirtschaft haben? Die keine großen Zuschauerzahlen in die Waagschale von Kosten und Nutzen werfen können? Fallen diese bunt-oszillierenden Atmosphären von Kunst und Musik in der Vision einfach über die Tischkante? Steht der lebendige Humus vor Ort zur Disposition?

3. Zur Diskussion steht der „Bürger als Sinnstifter“. Man hat ihn also nicht vergessen, den Bürger. Man braucht ihn, denn wer sollte die Kulturdinosaurier besuchen, finanzieren, beklatschen, wenn nicht er. Aber soll der Bürger als die wahre Kraft in der Stadt wirklich nicht nur zahlender Zuschauer, sondern tatsächlich auch aktiver Teil an der Entwicklung der Vision sein?

Kultur findet über ihre Alltäglichkeit statt, sie lebt von ihrem Austausch. Insoweit ist Kultur ihr eigener Ausdruck, ihre eigene Kommunikation. Kommunikation wird also die tragende Kraft für die Vision sein, die in Bremen auf den Weg gebracht werden soll.

4. Zur Diskussion steht eine neue „Projektgesellschaft“, die gegründet werden soll, um die Umsetzung der Vision zu leisten. Spätestens hier geht es hart an die Substanz dieser Vision, die sich vom Manna der Kreativität ernährt, neue Wege zu gehen. Kann eine traditionell hierarchisch organisierte GmbH, die weit gehend unter Vermeidung der parlamentarischen Kontrolle das Geld dieses Landes ausgibt, der Träger und Promotor einer breit angelegten Vision sein?

5. Zur Diskussion steht schließlich, den „Prozess zum Zweck selber“ zu machen. Dieser kurze Satz erfasst die nachhaltige Idee vom sich selbst steuernden System, er meint, dass der euphorische Aufruf zur Verbesserung bereits durch sich selbst Anfang der Verbesserung ist. Wie wahr. Klar machen muss man sich nur, wie das System definiert werden soll.

Wenn darunter nicht nur die „bewährten“ Kräfte qua Amt oder Organisation verstanden werden, wenn man sich nicht dem Oberguru verschreibt, keine Heilsbotschaften predigt und die kulturellen Organisationen vor Ort nicht zu PR-Maschinen für Wirtschaftsförderung degeneriert …, sondern wenn es tatsächlich gelingt, das kreative Potential einer kulturell engagierten Vielfalt vor Ort zu moderieren (!!) und ihr zur kraftvollen Entwicklung zu verhelfen, dann könnte die Vision in Teilen Wirklichkeit werden. Bremen hätte guten Grund zu hoffen, solange der viel beschworene Sinn nicht von außen übergestülpt, sondern von innen stimuliert und moderiert wird. Michael Weisser