kritisch gesehen: Und im Zentrum das schwarz gewandete Dilemma
Der eine war mal Nazi, der andere wurde Erdoğan-Claqueur: Das Theater Bremen zeigt ein Ein-Mann-Stück über die Kicker Trautmann und Özil
Dilemma steht auf seinem T-Shirt, es ist der Name des komplett schwarz gewandeten Kerls. Eine reizvolle Aufgabe für einen Darsteller, sich zwei gegensätzliche Möglichkeiten gleich leidenschaftlich zu erspielen und überzeugend rational zu behaupten. Robin Sondermann, jahrelang prägendes Ensemblemitglied am Theater Bremen, kommt da argumentativ und schauspielerisch richtig in Fahrt. Er gibt den Diskurs-Entertainer für die Lecture Performance „Laut oder leise – ein Abschiedsspiel für Trautmann Özil oder nicht“, die dem rohen Charme des Ostkurvensaals im Bremer Weserstadion ausgesetzt ist, wo sonst Werder-Fans Fußball gucken und feiern.
Um ein Dilemma zu erkennen, sind erst mal einseitige Haltungen zu relativieren. Was in der heutigen Meinungs-Bubble-Welt wenig interessiert, weswegen sich das Dilemma kaum noch gesehen fühlt. Für mehr Aufmerksamkeit überklebt Sondermann erst mal Plakate, Aufkleber, Kritzeleien an den Wänden und Säulen, die Position beziehen gegen Nazis, Antisemitismus, Homophobie, den HSV und alles, was sonst noch böse ist.
Im Publikum regen sich Buhs. „Wir halten das aus, gemeinsam“, sagt der Darsteller. Gegen scheinbare Eindeutigkeiten fordert er: „Mehr Kontext wagen.“ Und stellt seine Nummer eins aus Dilemmasicht vor: Bert Trautmann. Der aus Bremen stammende Fußballtorwart wurde in 508 Spielen für Manchester City zur Kickerlegende in England, seine Eisenhärte lebte er auch in einem Pokal-Endspiel, in dem er trotz eines Genickbruchs bis zum Abpfiff im Tor blieb.
Sondermann zeigt den Fußballgott Trautmann genauso begeistert wie den Nazi Trautmann, gestaltete der beide Lebensphasen doch aus der gleichen Unbedingtheit heraus. Er wurde in englischer Kriegsgefangenschaft nicht als Mitläufer, sondern als überzeugter Nationalsozialist und Antisemit eingestuft. Blond-blauäugige Ikone der HJ und Träger des Eisernen Kreuzes 1. Klasse. Wie gut ist dann die Integration im Königreich verlaufen, dass Trautmann zum Helden eines jüdisch geprägten Fußballklubs wurde! Trotzdem sei er keines Abschiedsspiels würdig gewesen, da er seine Schuld in der NS-Zeit nie benannt habe, so das Dilemma.
Sondermanns zweites Beispiel: Mesut Özil. Der feinfüßige Kicker war ein von Angela Merkel hofierter Integrationsheld, sang dann die Nationalhymne nicht mit, spielte immer phlegmatischer, freundete sich mit Türkei-Präsident Erdoğan an. Heute sitzt er im Vorstand von dessen islamisch-konservativer AKP, bekundete mit einem Tattoo seine Solidarität mit den rechtsextremen Grauen Wölfen und will einem Post zufolge den Staat Israel auslöschen. Eine Tragödie – ohne Abschiedsspiel. Oder wie schlecht ist die Integration gelaufen, dass sich ein Deutscher mit türkischen Wurzeln dermaßen gegen westliche Werte radikalisiert?
„Dilemma. Laut oder leise“. Wieder am 9. 4., 20 Uhr, Hamburg, Fanräume Millerntor-Stadion. Karten: info@fanprojektbremen.de
Dilemma! Daran Mitschuld hätten seine Kritiker, meint das Dilemma, zeigt Mitleid mit Özil und fordert ein Abschiedsspiel für den Ex-Nationalspieler – in Bremen. Das wäre ein versöhnliches Zeichen. Sondermann steigert sich mit humanistischem Furor in diese Botschaft hinein, womit er seine Rolle verrät, nicht mehr achtungsvoll zwischen Perspektiven hin und her springt, sondern Dilemmata lösen, sich auflösen will. Nichtsdestotrotz ist das rhetorisch gewandte Spiel mit aktuellen Ausgrenzungsdiskursen ein mitreißend vitales Denkabenteuer. Jens Fischer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen