kritisch gesehen:
In seinem Comic „Das kalte Herz“ adaptiert Sascha Hommer das Märchen von Wilhelm Hauff
Sascha Hommer, im Schwarzwald aufgewachsener Hamburger Comic-Künstler, hat seine Version von Wilhelm Hauffs „Das Kalte Herz“ vorgelegt. Das ist ein schöner Gruß an die baumige Heimat. Aber der überrascht. Denn Hommer adaptiert sehr selten literarische Werke, und wenn, dann mit viel Distanz zum Original. Hier aber, bei dieser unverwüstlichen Erzählung, 1828 posthum veröffentlicht, bleibt er sehr dicht am Urtext.
Die markanteste Neuerung ist, dass ein pfeiferauchendes Glasweiblein statt eines pfeiferauchenden Glasmännleins auf die Anrufung des armen Köhlerjungen hin erscheint. Wie bei Hauff gewährt es ihm drei Wünsche. Doch dem jungen Mann fallen nur ungewisse Besitztümer als begehrenswert ein, um sich Verstand zu wünschen, der ihm eigentlich fehlt, fehlt ihm der Verstand. Deshalb verliert er dann alles und tauscht, um doch wieder an Geld zu kommen, beim diabolischen Holländer-Michel sein Herz gegen einen Stein. Dank seiner liebenden Lisbeth und mit der Hilfe der Schatzhauserin im Grünen Tannenwald erobert er es aber zum Schluss wieder zurück.
Wortlose Wege durch den Wald
Wie um zu signalisieren, dass eine fremde Stimme das Erzählen übernimmt, vermeidet Hommer Charakteristika seiner bisherigen Arbeiten: Die Personen zum Beispiel haben nicht die typischen Riesenköpfe. Und Rasterfolie, sonst omnipräsent, nutzt er hier gar nicht. Stattdessen bildet ein grünstichiges Grau den durchgängigen Hintergrund. Das ist schlau. Denn ideologisch sind Hauffs Schuster-Bleib-bei-deinen-Leisten-Moral – der Köhler wird nur glücklich, wenn er als Köhler reüssiert – und der gefühlige Antikapitalismus – Reichtum kommt erwerben nur herzlose Soziopathen – ziemlich passé. Ohne sie lässt sich aber die Geschichte nicht erzählen. Dabei vermag ihre durch realistische Weltschilderung ironisierte Fantastik noch heute zu fesseln. Dass Hauff seine Waldgeistergeschichte mit der frohen Kunde beginnt, man habe „in neuerer Zeit“ den Bewohnern des Schwarzwaldes, wo sie spielt, den Aberglauben genommen, es gebe Waldgeister, verunsichert alle nur denkbaren Perspektiven auf den Plot – und gerade in dieser Verunsicherung wächst das Unheimliche.
Comic Sascha Hommer: „Das kalte Herz, nach einem Märchen von Wilhelm Hauff“, Reprodukt, 160 Seiten, 24 Euro
Hommers Comic-Fassung findet die Entsprechung dazu in den wortlosen Wegen des Protagonisten durch den Wald, in dem die dämonischen Figuren ihn belauern, ihn beäugen, nach ihm greifen, noch bevor sie wirklich in sein Leben treten. Das ist gruselig, aber doch nicht so sehr, als dass es Albträume verursachen würde. Die Geschichte funktioniert also für Kinder und für Erwachsene und hat in der Bearbeitung und grafischen Mise en Scène vielleicht ein paar Sätze verloren. Aber an Dimensionen und Aussagekraft gewonnen. Benno Schirrmeister
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