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kritisch gesehenDas Böse der Blumen und die Check-Card der Schnecken

Widerwillig fügt sich die Lilie dem Griff der Latexhand Foto: Marchand/Galerie K’

Flo­ris­t*in­nen gehen einem geradezu diabolischen Gewerbe nach: Das deckt die fotokünstlerische Reihe „Muttererde“ von ­Luise Marchand auf, die derzeit in der Galerie K’-Stich in Bremen zu sehen ist und, für Leute die das können, wohl auch zu riechen. Ach, manchmal ist man ganz froh, dass Corona diesen Sinneskanal beseitigt hat. Die makroskopischen Aufnahmen der professionellen Zurichtung von Blüten für die Präsentation in Sträußen und Gestecken haben ja etwas sehr Gewalthaftes. Und das führt dazu, dem Duft „Ewige Gartenrose“, der auf die links des Eingangs installierten Steckschaumkörper aufgetragen wurde, die Fähigkeit zu unterstellen, Brechreiz zu erregen. Aber vielleicht ist er auch sehr angenehm, wer weiß.

Die Bilder sind mit einem extrem hochauflösenden Pigmentdruckverfahren erzeugte, gerahmte Abzüge hinter Glasscheiben, die per UV-Druck mit Mustern von Blumen-Einschlagpapier gegliedert werden. Sie inszenieren Blüten und Stängel, die mit Feuerzeug, Stahlnadeln, Draht und Hammer professionell in Form gebracht werden, auf dass ihre Einzelteile aneinander haften und das Ganze echt schön wirkt.

Sie inszenieren den Griff der Latexhand ins schmierige Staubgefäß einer Lilie, deren Blütenblätter sich in hektischem Rosa der Blumenfachkraft scheinbar entwinden wollen: eine Vergewaltigung? Sie zeigen den Kelch einer anderen, der sich einer Nase öffnet, die wirkt, wie ein kopulierfreudiger Satyr: Im Roman „Gegen den Strich“, der so etwas wie die Bibel der Dekadenz ist, hatte Joris-Karl Huysmans 1884 Kunstblumen nur als Zwischenstufe zu den Artefakten gelten lassen, die durch Zuchtwahl, Verpflanzung und chemisch-mechanische Manipulation ihren Ursprüngen maximal entfremdet sind. Die denaturierte Natur ist der Gipfel dieser Ästhetik. „Heutzutage sind die Gärtner allein die wahren Künstler“, heißt es in dem Buch.

In einer zweiten, technisch ähnlichen Serie, „Zeit ist Geld“, bringt Marchand Weinbergschnecken mit Banknoten zusammen, mit Quittungen und mit Kreditkarten: Spielerisch und ironisch sind auch die Einzeltitel. Die UV-Drucke ziehen in dieser Reihe die Schleimspur der Gastropoden farbig auf dem Rahmenglas nach. Der Eindruck von Tiefe, der durch diese Bild-Konstruktion erzeugt wird, und die leuchtende Farbigkeit der Nahaufnahmen erzeugen ein Gefühl körperlicher Nähe, das die Grenze zum Unangenehmen auslotet, mit Genuss, durchaus: sehenswert. Benno Schirrmeister

Galerie K’-Strich, Luise Marchand, Alexanderstraße 9b, Bremen, bis 28. 1. 23

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