kritisch gesehen: Spieltrieb in der Wunderkammer
Was haben Marina Abramović, der verstorbene Christoph Schlingensief und Hartmut Neumann gemeinsam? Alle hatten irgendwann eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braunschweig inne. Der 1954 in Delmenhorst geborene Neumann ist allerdings der Einzige, der durchgehalten hat bis zur Emeritierung, die ihm demnächst zuteilwird. Zuvor stellt er nun im örtlichen Museum für Fotografie aus. Dabei bezieht er, wie es sich für einen guten Professor geziemt, zwei ehemalige und eine aktuelle Studierende mit ein.
Seit 1992 Professor in Braunschweig, war Neumann in der Grundlehre tätig und leitete zudem eine Fachklasse für Malerei; eine von 20 solcher Klassen unterschiedlicher Disziplinen in der Freien Kunst. In seiner eigenen künstlerischen Arbeit verfolgt er vielfältige Ansätze und Techniken, nicht unbedingt dominant erscheint darunter sein Lehrmetier, die Malerei. Das zumindest legt die Ausstellung nahe, deren Schwerpunkt inszenierte Fotografie bildet.
Damit arbeite er bereits seit den 1990er-Jahren, erklärt Neumann. Die Fotografie sei ein entspanntes Medium, ermögliche seinem Spieltrieb relativ schnell und unkompliziert umzusetzende Ergebnisse. Als skulpturale Fotografie sieht er dann auch seine motivisch überbordenden Assemblagen aus allen möglichen Materialien und Dingen, die er im analogen Mittelformat einfängt. Seine ganz spezielle Form von Studiofotografie arbeite nur mit der Tageshelle, stets von links, wie es sich für einen Rechtshänder gebührt, so sein Einwurf; mitunter werden auch Schlagschatten kompositorisch einbezogen.
Seine wunderkammerartigen Fotoinszenierungen, die einem weiterem Credo Neumanns folgen, seinem „Mehr ist Mehr“ – eine Kampfansage an den Reduktionsfetisch der klassischen Avantgarde – zähmen sich dann doch selbst zu konzeptionellen Reihen. Zum Beispiel die etwas älteren Vogelsäulen, die jeweils einen ausgestopften Flattermann als Spitze eines Stapels Hausgeräts, Dekomaterials oder ausrangierter Handtücher präsentieren. Oder eine jüngere, „Gefährliche Pflanzen“: Aus der Kombinatorik organischen und künstlichen Materials gebiert sie botanische Hybride.
Auch in seiner Lehre scheint Neumann das spielerische Experiment gefördert zu haben, wenn nötig mit eigenem Einsatz. Das demonstrieren zumindest die drei nun gezeigten Kooperationen, in denen Neumann als Akteur oder durch einen künstlerischen Beitrag präsent ist.
Bettina Maria Brosowsky
Hartmut Neumann: Fremde Ebenen. Fotoarbeiten sowie Arbeiten im Dialog mit Michael Bauer, Tim Berresheim und Sam Evans: bis 12. 6., Museum für Photographie Braunschweig
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