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kritisch gesehenDie Literatur, ihre Grenzen und deren Verwischungen

Schitte, das Blöckchen vergessen. Den klugen Satz zu notieren, wäre gut gewesen. Es ist die Eröffnung des 15. „globale°-Festivals“ für grenzüberschreitende Literatur, Thema Untergänge und Übergänge, Ort Bremen, Obere Rathaushalle, also alles sehr festlich und offiziös und mit Staatsrätinnenrede (SPD) – ähm: behauptet die echt, kulturelle Bildung wäre auf dem Arbeitsmarkt von Vorteil?!Also, der Satz war es nicht! – mit Sponsorengrußwort und Pipapo. Es treten auf die Autorinnen Sharon Adoua Otoo und Eva Menasse, und letzterer gelingt, dem Rahmen zum Trotz, etwas Ultrakluges zu sagen, den Satz übers Verhältnis von Literatur und Realität, aber wie ging der noch gleich?

Auch taktisch wichtig: Der Satz zieht eine notwendige Grenze – denn wie sie literarisch überschreiten, wenn es sie nicht gibt? Er stoppt das nonchalante Plaudern über Belletristik, das nicht nur alles miteinander vergleicht, sondern droht, es allzu vage aufzulösen ins Allgemeine: Auf das zielt Menasses Roman „Dunkelblum“, indem er sozialpsychologische Dynamiken kollektiven Mordens freilegt. Aber Menschheitsgeschichte gibt es eben nicht ohne das Konkrete, insistiert die österreichische Autorin nun, das ist es, was sie sinngemäß am Dienstagabend in Bremen gesagt hat, ungefähr wenigstens, vermutlich: Es geht um das spezifische Massenmorden in Österreich 1945 in den letzten Kriegstagen entlang der Grenze nach Ungarn, das Massaker von Krottendorf, das von Sierning, das von Deutsch-Schützen, von Edt, lauter hübsche Dörfer, und, am bekanntesten, das von Rechnitz, bei denen die Zwangsarbeiter eliminiert wurden. Verdunklungstaten vorm Untergang?

„Dunkelblum“ heißt der Roman nach der fiktiven Ortschaft, deren Bevölkerung an diesen Verbrechen einst teilgenommen oder sie teilnahmslos verschwiegen hat. Er spielt 1989 und der kurze Auszug, den Menasse vorliest, lässt spüren, wie die Vergangenheit in dem Moment an die Oberfläche tritt, in dem ein anderer Untergang Gegenwart wird: Eine schöne Prosa, schön vorgetragen, gerade die Austriakismen gewinnen natürlich, und Menasse lässt die Schichtungen des Texts beim Vorlesen durchschimmern.

Auch wenn das Otoo leider weniger gelingt, der Abend ist ein toller Auftakt fürs Festival. Die Passage, die sie aus „Adas Raum“ vorträgt, ihrem furiosen Erstling, ist dramaturgisch zentral. Aber wohl deshalb verzichtet sie dort genau auf dieses mutmaßlich an Virginia Woolf geschulte magische Moment, das den Reiz ihres Erzählens ausmacht: die Sprachbegabung der Dinge, das Aufscheinen des kolonialistischen Weltverbrechens im Objekt, das Verwischen epochaler und kontinentaler Grenzen … Hier an dieser Stelle wirkt ihr Text wie irgendein Berlin-Roman, einem herrischen Realismusparadigma unterworfen. Erzählstrategisch ist das, aufs Ganze bezogen, sinnig. Aber vorgelesen als Auszug – na ja, nicht schlimm. Aber etwas fad. Benno Schirrmeister

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