kritisch gesehen: Jazz als Familiensache
Deutsche Jazzstars gab es nur wenige. Um so bemerkenswerter ist es, dass zwei von ihnen aus einer Familie stammten. Eugen Cicero war ein Pianist, der in den frühen 1960ern mit seiner Mischung aus Klassik und Jazz Millionen Schallplatten verkaufte. Sein Sohn Roger war dann Anfang des Jahrhunderts verantwortlich für ein kurzes Aufleben von Swing mit deutschen Texten. Über diese kleine Jazzdynastie hat der Hamburger Filmemacher Kai Wessel die Musikdokumentation „Cicero“ gemacht.
Schon vor dem frühen Tod Roger Ciceros mit 45 Jahren im Jahr 2016 hatte Wessel mit den Dreharbeiten begonnen. So erklärt sich, warum es in seinem Film so viele lange und gut fotografierte Sequenzen von verschiedenen Bühnenauftritten und Studioaufnahmen Ciceros gibt. Bei dessen 1997 verstorbenen Vater Eugen konnte er nur auf Archivmaterial zurückgreifen, in dem er meist in Schwarzweiß virtuos das Piano spielt. In diesen Montagen sind dann auch die Talking Heads der Zeitzeug*innen monochrom einmontiert, eine der wenigen stilistischen Eigenwilligkeiten Wessels. Ansonsten ist „Cicero“ ein konventionell produziertes Doppelkünstlerporträt. Aber dies ist auch der passende Zugang zum Stoff. Bei dessen Fülle hätten größere filmkünstlerische Ambitionen nur gestört.
Mehr als 50 Interviews hat Wessel mit Familienangehörigen, Musikerkollegen und Manager*innen der beiden Ciceros geführt, darunter der Trompeter Till Brönner und der Schlagzeuger Charly Antolini. In diesen Gesprächen wird sehr ins Detail gegangen: Zuschauer*innen, die sich nicht für Jazzmusik interessieren, dürften schnell die Geduld verlieren. Doch für Kenner*innen ist dieser Film eine Fundgrube – auch, weil er zeigt, wie schwierig es selbst für solche Ausnahmetalente wie Eugen und Roger war, in Deutschland mit Jazz gutes Geld zu verdienen.
Eugen Cicero „verkaufte“ eine Weltkarriere, indem er als Pianist der Paul-Kuhn-Bigband bei Galas und Fernsehauftritten spielte und Rogers Bigbandswing war die Idee seiner Manager und Produzenten. Wessel nimmt sich Zeit, von den Erfolgen und Krisen in den beiden Künstlerbiografien mit dem Gespür eines guten Spielfilmregisseurs zu erzählen und zeigt ihre Auftritte in langen Ausschnitten. So gibt er ihrer Musik Raum, sich zu entfalten. Wilfried Hippen
„Cicero“ läuft am 12. 10. um 20.40 Uhr auf dem Filmfest Emden
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