kritisch gesehen: der italo-pop-liederabend „azzurro“ am theater bremen: Mit dem debilen Verve der Klassiker
Bella Italia, Sie wissen schon: Hochkultur mit Sonne, Meer und Dosenravioli auf dem Campingplatz. Das deutsch-italienische Verhältnis steckt auch nach der faschistischen Episode knietief im Widerspruch. Auf den Autobahnen der 1950er-Jahre fahren die Gastarbeiter von dort dem Wirtschaftswunder-Touristen von hier entgegen. Im Sommer wähnt man sich auf den Spuren von Goethes Italienreise und wird sich im Herbst doch wieder über die „Spaghettifresser“ das Maul zerreißen.
Es sollte ein paar Jahrzehnte dauern, die Verhältnisse zu befrieden und im Pop zu konservieren, ziemlich genau bis 1982 als Reinhold Heil und Spliff in einem Lied für immer untrennbar zusammenkitten, was bis dato dumpf gegeneinanderrumpelte. „Carbonara e una Coca Cola“: Der dümmliche, aber ungewohnt lockere Deutsche findet woanders das Schöne, ohne darum gleich wieder beleidigt ausrasten zu müssen. Die anderen Helden und Heldinnen des Italo-Pop kennen Sie auch: Domenico Modugno, Franco Migliacci, Al Bano und Romina Power. Und es verspricht viel, wenn das Bremer Theater nun einen Italo-Pop-Abend ausrichtet und mit Liedermacher Tom Liwa einen Meister der Zwischentöne ans Ruder lässt.
Seine Songs sind das Fundament des Theaterabends „Azzurro“ in der Regie von Josef Zschornack. Draußen auf dem Goetheplatz gibt’s dann auch die einschlägigen Hits zu hören: „Felicitá“, „Bello e impossibile“ und natürlich „Volare, oho. Cantare“. Und so weiter. Schmissig ist das und bringt mitunter auch wirklich Schwung ins etwas betagtere Publikum – lässt träumen und erinnert an Reisen in die längst nahegerückte Ferne.
Sogar noch schöner sind Tom Liwas Eigenkompositionen. Die vollbringen im unverwechselbaren Ton des Liedermachers das Kunststück, den debilen Verve der Klassiker mit der Melancholie ihres Verhallens zu verbinden. Rührend ist das und ein bisschen gespenstisch. Es gibt gelegentlich auch schein-schlaue Weisheiten zu hören, wie die, dass man nicht die linke Hand in Scheiße stecken kann und danach die rechte rausziehen. Sollten diese 14 Songs jemals auf Platte erscheinen, muss man sie kaufen und bei pipiwarmem Lambrusco auf der Veranda hören.
Das wird ganz, ganz toll, wenn man es bis dahin schafft, diesen sonderbaren „Azzurro“-Abend zu verdrängen. Das ist dringend nötig. Denn der ist grober Unfug. Die Lieder sind eingebunden in fahrig konzipierte Szenen am Set einer Filmproduktion: eine Rahmenhandlung, die rein gar nichts rahmt und willkürlich mit knallbunten Requisiten und Bühnennebel befeuert wird. Nicht mal, wenn sie einander mit Spaghetti bewerfen, entsteht Dynamik zwischen den Figuren. Spannend ist nur die Frage, wann sie endlich wieder singen.
Der Versuch, den ironiesatten Italo-Pop ironisch zu brechen, kann nur daneben gehen. Das fällt hier gleich doppelt zurück: hinter die Originale, aber auch hinter Liwas bezaubernde Neudichtungen. Wenn man da ist, hilft nur: Augen zu und durch.
Jan-Paul Koopmann
Azzurro, wieder am 25., 28. und 29. 6. sowie am 2., 6., 8. und 9. 7., je 20 Uhr auf dem Goetheplatz
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